Montag, 16. November 2015

Never Tag 15



Fünftens – 40% Nimmer

Ich spüre wie etwas nasses mich im Gesicht berührt, zucke zurück und bleibe auf dem matschigen, weichen Boden liegen. Es riecht etwas torfig, etwas kitzelt mich am Ohr und dann wieder dieses nasse Ding, das nach mir greift. Ich wedle dieses Mal mit der Hand herum, vergrabe das Gesicht und drehe es gen Boden, um mich etwas zu schützen. Eben deswegen schmiere ich mir einiges über die Haut und schrecke endgültig auf, als ich am Ohr gezogen werde.
Man kann wirklich nie auch nur ein bisschen ausschlafen. Was ist diese Welt ungerecht und… zwei blaue, leuchtende Augen sehen mich an. Obwohl es hell ist, so hell wie es eben unter dem Blätterdach, tief im Dschungel werden kann, leuchten ihre Augen immer noch grell und die Haare wirken wie der Dunst, den Sternschnuppen hinter sich herziehen. Wieder diese schnatternden Geräusche, eine Art Rasseln, das tief aus ihrer Brust kommt.
Langsam setze ich mich auf, die Übelkeit ist wirklich grässlich, schlimmer als noch den Tag zuvor und mein ganzer Körper bebt. Mir ist elendig kalt, kaum dass ich aufrechter bin dreht sich alles und ich kann mich kaum aufrecht halten. Mein Magen fühlt sich leer an, so richtig leer und obwohl ich vor Hunger leiden sollte, ist die Übelkeit einfach so viel schlimmer. Normalerweise hilft dagegen ein Schluck, ein großer, scharfer Schluck Schnaps oder Rum. Meine zitternden Hände wandern meinen Gürtel entlang, obwohl ich doch genau weiß, dass ich meinen Flachmann liegen gelassen habe und ihn, selbst wenn ich ihn noch hätte, längst geleert habe.
Das Zitternd wird schlimmer, hinzu kommt die plötzliche Hitze und der warme Dampf der Quelle ist fast nicht auszuhalten. Ich kriege nicht richtig Luft, ziehe mich hastig ein Stück zurück, bis ich gegen einen Baumstamm pralle und geschlagen inne halte. Mein Magen verkrampft sich, ich keuche laut, japse und kotze dann das bisschen Magensäure und Wasser direkt auf mich hinab. Es kommt so plötzlich, dass ich es nicht einmal schaffe mich vorzubeugen. Kommt mir einfach direkt über die Lippen, rinnt mir übers Kinn, den Hals hinab und auf meine ohnehin durchweichte, klebende Kleidung. Und danach geht es mir nur noch schlechter als zuvor.
Mein Magen fühlt sich steinhart an, das Zittern wird immer heftiger und die Hitze bringt mich um. Ich schäle mich umständlich aus der Jacke, wobei mir alles weh tut und ich sie irgendwie, ächzend und stöhnend, den Tränen nahe, abschüttle. Die Schuhe schaffe ich nicht und auch sonst fühle ich mich nach dieser Anstrengung nicht imstande mich noch irgendwie zu rühren.
Erneut krampft mein Magen, mein ganzer Bauch zuckt, die Brust hebt und senkt sich und ich werde von Krämpfen geschüttelt. Wieder spucke ich nur Flüssigkeit aus, durchsichtig und etwas bitter, ansonsten schmeckt sie aber nach gar nichts. Bebend komme ich etwas zur Ruhe und werde erneut von der Übelkeit übermannt. Mein Stöhnen und Ächzen, Jammern und Winseln muss man wirklich weit hören, aber es ist mir egal. Dann werde ich eben von den Nimmervögeln gefressen. Ja, am vorigen Tag wollte ich noch leben, jetzt will ich einfach nur, dass diese Schmerzen aufhören.
Alkohol, irgendetwas, nur ein kleines Tröpfchen. Mein Kopf scheint explodieren zu wollen und schließlich sinke ich, den Tränen nahe und völlig fertig wieder in mich zusammen, kippe langsam zur Seite um und rolle mich zusammen, kaum dass ich liege.
Ich war seit langem nicht mehr nüchtern und wenn sich das so anfühlt, dann bin ich wirklich lieber dauerhaft betrunken. Außerdem lichtet sich dieser seichte Nebel, dieses dumpfe Etwas, das einen einhüllt und vom Rest, den ganzen Gefühlen und Schmerzen abschirmt. Das Verlangen nach Alkohol ist übermächtig, ich aber nicht in der Lage mich überhaupt zu rühren. Dass der Gnom mittlerweile aufgetaucht ist, eine große Blüte in den Händen, welche beinahe so groß ist wie er und in der eine durchsichtige Flüssigkeit schwappt ignoriere ich einfach.
Er bleibt direkt vor mir stehen, sieht mich an und wartet, dass ich irgendein Lebenszeichen von mir gebe. Neben dem anhaltenden Wimmern und Stöhnen natürlich. Diese Krämpfe. Mein Kopf pocht so sehr, ich presse die zitternden Finger gegen die Schläfen und zucke heftigst zusammen, als er mich dann doch anstupst. Es tut weh, diese sachte, kurze Berührung. Das Wesen mustert mich, streckt die Arme aus, so gut das eben unter dem Gewicht geht und hält mir die Blüte hin.
Ich ignoriere es. Stattdessen drehe ich mich etwas auf den Rücken, die Beine angewinkelt und atme stoßweiße, wie ich es schon oft bei Schwangeren gesehen habe. Es hilft auch tatsächlich etwas gegen die Krämpfe. Der Gnom gibt nicht nach, auch als ich ihn quasi Anfauche und ihn mit dem Ellenbogen wegstoße. Ich will nichts in meinem Magen, da bleibt ohnehin nichts darin.
Schon alleine bei dem Gedanken daran irgendetwas runterschlucken zu müssen, wird mir so dermaßen schlecht. Er steht nun weiter oben, dicht an meiner Schulter und neben meinem Gesicht, scheint davon auszugehen, dass ich ihn da nicht erwischen könnte. Und diese dumme, leuchtende Blume hält er immer noch, wie so einen Kelch. Der heilige Gral oder etwas dergleichen.
Als würde ich ihn da oben nicht auch kaputt schlagen können, einfach in den Boden rammen oder platsch Manschen. Immerhin habe ich das in der vorigen Nacht mehr als zur Genüge gesehen. Dieser Mann und seine Organe und… . Ich stoße auf, entlasse den unangenehmen Geschmack mit einem Schwall Luft aus meinem Mund und ächze.
Er stupst meine Wange an, ich schließe kurz die Augen und versuche Ruhe zu bewahren. Ich bin ein Gänseblümchen im Sonnenschein. Völlig entspannt. Ich atme konzentriert ein und wieder aus und ein und wieder aus und ein und… „Mäcakakäjä“, macht es neben mir und wieder wird meine Backe nach innen gegen meine Zähne gedrückt. Drück, Drück, Drück. Ich hebe die Hand, versuche ihn zu erwischen und stelle fest, dass er tatsächlich so weit oben stehe, dass ich ihn in meinem derzeitigen Zustand nur schwierig erreiche.
„Käwäwäkäkäk“, macht er weiter und drückt immer noch, dabei hat er den Kelch abgestellt und gegen sich gelehnt. Die dunklen Knopfaugen sehen mich weiter an und die Ohren wackeln etwas. Womit habe ich nur dieses anhängliche Bürschchen verdient? Habe ich mir jemals ein Haustier gewünscht? Nein. Wirklich nicht. Nicht einmal eine Katze und die Viecher würde ich noch am ehesten nehmen.
Wieder hebe ich etwas die Hand, mein ganzer Körper protestiert bei dieser Bewegung und ich lasse sie wieder sinken. Ich werde mich einfach nicht mehr rühren und das alles still ertragen, vielleicht sterbe ich ja einfach. Ganz plötzlich. Puff. Tot.
Der Gnom drückt mich immer noch, ich seufze, öffne den Mund und versuche ihm einfach den Finger abzubeißen. Er zieht aber eben diesen schnell genug zurück, gibt wieder etwas empörte Laute von sich und hebt dann die Blume so hin, dass sie etwas auf meinem Kinn aufliegt.
„Verpiss dich doch einfach“, nuschle ich, so, dass das ganze Wasser nicht einfach über mich drüber läuft. Es muss Wasser sein, zumindest ist es klar. Er knurrt, ich knurre zurück, dann meckert er noch lauter und ich gebe so etwas wie ein Fauchen von mir. Und dann zucken wir beide zusammen, als ein lautes und wesentlich herrischeres Fauchen vom See und der Meerjungfrau kommt. Ihre Haare haben sich etwas aufgeplustert, so könnte man das beschreiben und die Kiemen stehen ab. Und dann sind da ihre langen, spitzen Zähne, die sie bleckt.
Ich sitze schneller, als ich es selbst für möglich gehalten hätte. Und dann nehme ich auch kleinlaut die Blüte in die Hand, welche mir der nun etwas zufriedener grinsende Gnom gibt. Falls dieses Ding tatsächlich grinsen kann und nicht immer schon so dämlich aussieht. Ich starre auf die Blume, wieder die Meerjungfrau an und dann nehme ich einen ersten, zögernden Schluck. Was nur alle damit haben. Gut, ich habe sicher zu wenig Wasser getrunken und dazu alles ausgekotzt, was ich auskotzen kann.
Das Wasser ist kein Wasser, zumindest schmeckt es nicht danach. Es ist süßlich und ich schiebe das direkt auf die Pollen oder so etwas. Seit die Dixies und Bienen nicht mehr wirklich existent sind, sammelt ja niemand mehr den Honig ein.
Mir dreht es augenblicklich den Magen um und noch mit dem Wasser im Mund fange ich an zu würgen. Verkrampft halte ich den Mund geschlossen, begegne dem warnenden Blick der Meerjungfrau und schaffe es, nach dem folgenden Würger, irgendwie zu schlucken. Mein Magen verkrampft sich, gluckert und brennt. Als hätte ich zu scharf gegessen und ich frage mich, ob das wohl auch zwei Mal nachbrennt.
Aufstöhnend sinke ich tiefer in mich zusammen, versuche meinen Rücken und Bauch zu entlasten und habe keine Lust mehr auch nur einen weiteren Schluck zu trinken. Wieder das Fauchen, sie hat sich sogar ein Stück hochgestemmt und erwidert meinen etwas trotzigen Blick völlig unbeeindruckt. Und was wenn ich nicht weiter trinke? Was will sie dann denn bitte machen?
Sich aus dem Wasser hieve, über den Boden zu mir hin robben und mir ins Bein beißen, um sich dann wieder irgendwie zurück ins Wasser zu ziehen, bevor sie austrocknet. Toller Plan.
Trotzdem überwinde ich mich und trinke noch mal. Und, welch Wunder, auch wenn mir nach wie vor von diesem süßen Zeug schlecht wird, mein Magen verkrampft  sich nicht mehr. Überrascht heben sich meine Augenbrauen und nun ist es an der Meerjungfrau einen überheblichen Gesichtsausdruck aufzulegen. Ich habe es hier mit unterentwickelten Geschöpfen zu tun, auch Raubtieren, denn das da vor mir gehört eindeutig dazu, aber alle behandeln mich, als wäre ich das dümmste Wesen in der ganzen Umgebung.
Als nächstes taucht ein Nimmervogel auf und richtet mir die Haare. Oder ein paar Wichtel fangen an mir zu zeigen, wie man Feuer macht. Ich nehme noch einen Schluck, lasse es gar nicht mehr lange im Mund, sondern schlucke sofort runter. Alles Brennen ist verschwunden, mein Magen fühlt sich wirklich so viel besser an und ich bin versucht aufzuspringen, umher zu springen und meinen magisch geheilten Körper zu bewegen.
Aber das schnelle Kopfheben reicht schon aus diesen Plan zu verwerfen. Er tut immer noch weh, nur meinem Bauch geht es besser. Ich blinzle, atme gleichzeitig und langsam wird es wieder besser. Verdammt noch mal, mir geht es so dreckig. Ein letztes Nippen, dieses Mal behalte ich die Flüssigkeit so lange wie möglich im Mund und schlucke sie dann. Es hat einen beruhigenden Effekt und mein Bauch entspannt sich noch ein Stück mehr. Aber dafür ist der Becher leer und ich fühle mich nach wie vor, als würde ich alles wieder ausspucken, kaum dass ich mich etwas mehr bewege.
Die Meerjungfrau oder eher Seejungfrau, haha, Nüchternheit macht mich so wortgewandt, taucht scheinbar zufrieden ab und ich lege die Blüte neben mir auf den Boden. Dass der Gnom sich mittlerweile auf meine Füße gesetzt hat und mich neugierig beobachtet, registriere ich erst jetzt. Er blinzelt, sieht mich an und gibt dann so etwas wie ein „Purrrr?“, von sich. Dabei kuckt er, als würde er gerne für diese Glanzleistung hinter den Ohren gekrault werden.
Stattdessen drehe ich mich langsam auf die Seite und lasse mich wieder auf den Boden nieder, ihn dabei einfach abwerfend. Lästig, das alles ist mir lästig, er, die blöde Tusse im Wasser und der Spink, der mir eindeutig wieder viel zu nahe kommt. Wenn er auch nur in mein unmittelbares Umfeld kommt, werde ich alles nach ihm werfen, was ich in die Finger bekomme. Alles.
Das ich wegdöse registriere ich, kann aber nichts dagegen tun, will es vielleicht auch gar nicht.

                                                                       ~

„Oh, nicht ohnmächtig werden.“
Ich schrecke hoch, es plätschert, schwappt über den Wannenrand, an welchem ich mich festhalte und daran hindere unter zu gehen. Das Wasser ist nicht wirklich warm, nur lau. Irgendwie habe ich das noch im Kopf, kann mich daran erinnern, dass sie gesagt hat, dass mein Körper das nicht aushalten würde.
Schon diese Temperatur lässt die Schweißperlen auf meiner Stirn erscheinen und vor allem schmerzen meine Glieder. Vor allem die Zehen, welche ich ja bis vor kurzem gar nicht mehr gespürt habe, werden wieder aktiv und tun von Minute zu Minute mehr weh.
Mein ganzer Körper schreit und doch bin ich nicht im Stande mich zu rühren.
„Sie hatten wirklich Glück“, meint Sirena, sie hat sich mir mittlerweile vorgestellt und ist nicht im Geringsten beschämt mich nackt zu sehen, noch dass sie direkt neben mir an der Wanne sitzt und das Wasser immer etwas wärmer nachlaufen lässt. Mir ist das unangenehm, selbst in dem lädierten und müden Zustand.
„Habe ich Sie nicht schon einmal gesehen?“, frage ich verwirrt und blinzle immer und immer wieder angestrengt, damit mir die Lider nicht einfach so zufallen. Ihre Antwort ist ein Lachen, es klingt beinahe wie ein Singen und ich frage mich, wie sie so alleine hier draußen sein kann. Die Männer müssen sich doch um sie reißen, wie sie erst war, als sie jung war. Obwohl sie für ihr Alter wirklich gut in Schuss ist und trotz der Falten diese Alterslosigkeit ausstrahlt. Ich könnte nicht einmal fest sagen wie alt sie ist.
„Ja, vor etwa einer Minute“, sie zwinkert mir schelmisch zu und lächelt fürsorglich. Das Misstrauen gegenüber mir hat sie innerhalb kürzester Zeit abgelegt, spätestens, als sie mich wieder an die Oberfläche entlassen hat und… ich schüttle den Kopf, tauche wieder etwas auf und versuche nicht noch einmal unterzugehen.
Ich sehe ihr Gesicht, jünger, glatter, aber es ist ihr Gesicht. Wie die Haare um sich herum schweben und wie es leuchtet. „Wie lange war ich weggetreten?“, frage ich und meine Stimme klingt heißer.
Sie zieht die Augenbrauen hoch, lässt noch einmal einen Schwung wärmeres Wasser nach und scheint kurz nachzudenken. „Also wirklich ohnmächtig warst du nur kurz, aber bereits als ich dich aus der Küche geholt habe, schienst du nicht mehr richtig ansprechbar“, sie lächelt aufmunternd und legt mir eine Hand auf die nackte Schulter.
„Dafür hast du schön leer getrunken. Deinem Magen geht es sicher schon besser“, singt sie wieder, es klingt wunderbar, als würde es direkt vom Himmel kommen und ich realisiere, dass ich am liebsten für immer ihrer Stimme lauschen würde. „Hm…“, mache ich, lehne mich zurück und schließe kurz die Augen.
„Tatsächlich“, stelle ich überrascht fest. Die Krämpfe haben aufgehört, mein Magen fühlt sich nicht mehr so entsetzlich angespannt und leer an. „Ich werde dir später auch etwas zu essen geben. Habe noch ein bisschen Suppe und etwas Brot. Wie lange warst du da draußen?“, hakt sie weiter nach und sieht mich dabei durchdringend an. Ihre hellen Augen haben etwas Besonderes und ganz plötzlich frage ich mich, wieso sie nicht leuchtet. Sonst leuchtet sie doch. Sie… .
Sie steht auf und ich sehe ihr hinterher, wie sie das Bad verlässt.
Was ist nur los mit mir? Als mir das Wasser über den Mund läuft realisiere ich, dass ich wieder am einnicken bin. Hastig fahre ich hoch, fahre mir mit der nassen Hand übers Gesicht und versuche so etwas wacher zu werden. Da ist es wieder, ich höre es nur leise, gedämpft und realisiere, dass nicht das Wasser mich geweckt hat. Ein Klingeln.
Mein Kopf fährt herum und dann weiten sich meine Augen, als ich es sehe. Das Leuchten. Eine Art Glühwürmchen, das im Bad hin und her flitzt. Es klingelt dabei, wie ein Glöckchen und bewegt sich doch so schnell, dass es nur ein undeutlicher, verschwommener Lichtschein ist. Ich blinzle wie verrückt, versuche es irgendwie scharf zu sehen, etwas zu erkennen und dann schrecke ich hoch, als plötzlich Sirena durch die Tür kommt.
Ich setze mich etwas auf, sehe mich um und doch, das Ding ist verschwunden, wieder verschwunden. Sie wirkt nicht einmal überrascht, hält ein großes, flauschiges, weißes Handtuch und hält mir dieses entgegen, hilft mir sogar beim Aufstehen. „Solch alte Häuser spielen einem gerne Streiche, alles scheint zu Leben und um diese Zeit ist selbst das Licht ein Begleiter“, sagt sie, ganz plötzlich, aus dem Nichts und mir kommt es vor, als ob sie etwas weiß. Als ob sie weiß, dass ich verrückt werde und mich beruhigen möchte.

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