Samstag, 7. November 2015

Never Tag 6



drittens – 20% Nimmer


Es ist wirklich entsetzlich kalt und dann dieses penetrante Klingeln, welches mich einfach nicht in Ruhe schlafen lässt. Mal ist es weiter weg und dann kommt es wieder näher, immer näher, wie eine Mücke, die sich meinem Ohr nähert und man nur kurz aufschreckt, um panisch mit der Hand danach zu schlagen, sich schlussendlich selbst schlägt und dann weiter döst. Aber nie richtig schläft.
Man ist weder am Schlafen, noch ist man wach.
Wieder das Klingeln, es ist direkt an meinem Ohr, direkt an meiner Hand, ich spüre den Luftzug, schaffe es mit größter Überwindung die Augen etwas zu öffnen und schlage erneut unkontrolliert zu. Kann dem Drang einfach nicht wiederstehen und habe kurz die Angst, dass mir das Tier ins Ohr kriechen möchte. Dass ich tatsächlich etwas erwischen könnte, mit meinem Handrücken und das auch noch deutlich merke, erschreckt mich. Ein leiser Aufprall, das Klingeln wird lauter, etwas wüster, klingt fast schon wütend und ich blinzle verschlafen unter meinem Arm hindurch, der halb auf meinem Gesicht liegt.
Irgendetwas scheint tatsächlich den Raum zu erleuchten, golden, wirft Schatten und ich bin mir dank der Kälte ziemlich sicher, dass es nicht die Sonne ist. Gut, ich hab mit meinem benebelten Hirn ziemlich lange darüber nachdenken müssen, um genau das auszuschließen, so lange, wie das Ding gebraucht hat sich vom Boden aufzurichten. Es muss gegen die Wand geprallt sein, steht aufrecht und ist winzig klein, mit Flügeln. Details kann ich nicht wirklich sehen, meine Sicht verschwimmt immer wieder und der Boden scheint sich auch arg zu drehen. Mir ist so übel, wieder viel zu viel Rum.
Noch während ich damit beschäftigt bin das Wesen irgendwie anzuvisieren, hat sich dieses scheinbar wieder erholt, hebt ein Stück ab, was ich fasziniert beobachte und schießt dann wie wildgeworden auf mich zu. Mein erstickter Schrei geht in einem Husten unter, da ich den ganzen Staub vom Boden einatme und gleichzeitig von dem Teil im Gesicht getroffen werde.
„Ich bin blind“, bringe ich heißer heraus, habe weder erwartet, dass dieses Ding wirklich existiert, noch mich angreift oder gar unter meinem Arm hindurch passt. Das laute Klingeln schrillt immer noch in meinem rechten Ohr, hallt nach und ich reibe mir mit den schmutzigen Händen über die Augen, blinzle und sehe doch nur Lichtpunkte. Bei allen Höllenfeuern.
Langsam beruhigen sich meine Augen wieder und das Piepen im Ohr wird immer leiser. Das graue, trübe Licht hat mich wieder und der Wind pfeift durch die Ritzen des Schiffs, bringt den Schnee und das Eis mit herein. Ich sehe mich um, soweit das in dieser Position geht und schiebe diesen Wahnsinn, diese Halluzination meinem noch betrunkenen Geist zu. Nicht einmal in meine Hängematte habe ich es mehr geschafft, sondern bin stattdessen hinter ein paar Fässern mit Schießpulver eingeschlafen.
Schmatzend will ich mich zurück auf die Seite drehen, den ekelhaften Geschmack in meinem Mund und diesen miesen Traum einfach vergessen, sowie die penetrante Kälte, als plötzlich und wie in Zeitlupe direkt auf meinem Kinn etwas landet.
Wie erstarrt sehe ich das kleine Wesen an, es leuchtet blass, eher weiß als golden, so wie es mir immer in den Geschichten erzählt wurde, aber eindeutig, es muss eine Fee sein. Wieder das Klingeln, es öffnet den Mund, spricht und aus den Lauten höre ich tatsächlich Wörter heraus.
Was war in dem Rum?
Sie gestikuliert wild und bei jeder Bewegung rieselt etwas glitzernder, leuchtender Staub… aus ihr heraus. Ich starre einfach nur völlig perplex. Ihr Haar ist weiß, der Körper auch, wirkt wie Eis und sie scheint eine Art Kleid aus feinstem Spinnennetz zu tragen. Ich blinzle, wage es nicht zu atmen und frage mich, ob dieses kleine Geschöpf, falls es denn existiert, nicht etwa schrecklich friert. Das Klingeln wird penetranter, sie läuft etwas rot an, ihre Haut verfärbt sich und aufgebracht trampeln die kleinen Füße über meinen Mund hinweg. Sie steigt auf meine Nase, stemmt die Hände in die Hüfte und ein böser, wirklich böser Gesichtsausdruck entstellt ihr sonst so hübsches Gesicht. Pan, irgendetwas mit einem Pan.
„Ws… ws willsu von mir?“, stammle ich dann doch, habe den Kopf etwas gehoben, als sie losflattert und anfängt an meinen kurzen Haaren zu ziehen. Pan finden. Schon alleine wegen dem Namen hätte ich jeden anderen angepflaumt, aber da reißt eine Fee mir gerade fast das Ohr ab. Eine echte, wirkliche Fee.
Ich komme irgendwie hoch und dass ohne auf die zu große, leuchtende Libelle zu kotzen. Ein Erfolg auf ganzer Länge könnte man das nennen und das obwohl ich am ausnüchtern bin. „Was is mim Pan“, lalle ich weiter und kann nicht ganz begreifen, dass ich doch tatsächlich einige wenige Begriffe verstehe. Ich kann Feeisch oder wie das auch heißt, vielleicht kann ich das auch nur Dank des Alkohols und mein Gehirn sagt mir, dass ich da etwas verstehe.
Das kleine Fräulein fliegt wild vor meine Gesicht hin und her und hin und her und hin und Oh verdammt, mir wird schlecht. Ein Rums, gepoltert von weiter vorne, irgendwo unter Deck hört man jemanden laut aufstöhnen, Grummeln, Knurren, Gepolter und auf der Treppe erscheinen ein paar dreckige Stiefel. Ich visiere diese kurz an, schrecke endgültig hoch, dank des Lärms und sehe mich dann wieder verwirrt nach der Fee um. Sie ist weg, einfach verschwunden.
Ich muss verrückt werden, das liegt an dem Alkohol und der Kälte. Feen. Haha. Feen sind ausgestorben. Sie sind eh nie zu uns Piraten gekommen oder haben sich Blicken lassen, wenn wir auf der Insel waren, aber die Kälte hat sie alle platt gemacht. Desorientiert sehe ich mich um, wieder den Piraten an, welcher gerade herunter kommt und realisiere, dass das der erste Mat ist. „Aufstehen, ihr elenden Ratten. Wir rücken aus“, brüllt er und bemerkt mich doch tatsächlich, wie ich nur wenige Meter entfernt hinter den Fässern sitze. „Smee, du kommst mit. Wir gehen jagen, krieg deinen Kopf klar“, stutzt er mich zurecht und ich zucke zusammen, sehe ihn an, statt weiter nach dem kleinen Wesen zu suchen.
Kurz bleibt mein Blick an etwas direkt vor meinen Füßen hängen. Dort sitzt etwas und starrt mich mit großen, dunklen Augen an, in welchen man nichts Weißes erkennen kann. Ein Gnom, die Haut grau, wirkt wie Stein, spitze, fledermausartige Ohren und in graue Lumpen eingepackt. Gnome haben nichts übrig für Kleidung oder so etwas wie Näharbeit. Allgemein sind sie nicht die hellsten Geschöpfe, aber ihnen scheint das Wetter, im Gegensatz zu allen anderen Bewohnern von Nimmerland, nichts auszumachen. Sie frieren nicht, vermehren sich aber wie die Ratten und fressen uns mittlerweile die Haare vom Kopf.
Der Gnom sieht mich weiter an, gibt kein Quieken von sich, wie sie es sonst tun, wenn man sie erwischt und er hat auch nicht aufgehört auf dem Netz herum zu kauen, welches ihm anscheinend ganz vorzüglich schmeckt. Mit vollen Backen starrt er, blinzelt, ich blinzle zurück und dann streicht er sich mit dem Finger einmal unter der Nase entlang und auch übers Kinn, als würde er etwas wegwischen. Er nickt mir zu, ich bin mehr als irritiert, greife nach meinem Gesicht, streiche darüber und starre meine Finger an, auf denen sich glitzernder Staub befindet.
Meine Augen weiten sich und dann zucke ich wieder heftig zusammen: „SMEEEE“, brüllt mich der erste Mat der Skully Ma’m an und steht bereits direkt vor mir. Hastig wische ich mir über das Gesicht, rapple mich auf und bemerke, dass sich der Gnom mittlerweile unter dem Netz versteckt hat, nicht mehr zu erkennen ist.
„Aye… aye“, stottere ich rau und er macht einen Schritt zurück, wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Beim Klabautermann, Smee. Heute muss es beute geben, sonst knüpft dich der Käptn am Mast auf, um uns alle und vor allem Käpten Smith ne Freude zu machen“, grunzt er, dreht sich um und ist sich bewusst, dass ich sicher nicht widersprechen werde. Eigentlich könnte die Skully Ma’m mein Schiff sein, aber ich gehöre lieber zu den Wölfen. Wir sind der Trupp, der im Notfall losgeschickt wird. Meist bin ich völlig zugedröhnt, habe Alkohol und noch anderes im Blut, wenn wir Jagen gehen. Es ist ein Rausch und wir werden losgeschickt, die tollwütigen Verrückten, welche sich im Dschungel mit am besten auskennen. Besser als den Indianern aufzulauern oder den Meerjungfrauen hinterher zu stellen. Es bringt alles ja nichts. Wir sind einfach nur der Trupp, der in unbekannte Gebiete geschickt wurde. Die, die keiner vermissen würde und die auch waghalsig, vielleicht auch dumm genug sind, sich mit den Nimmervögeln anzulegen.
„Wohin willn Käptn Smith uns schicken“, frage ich, als ich mich irgendwie hinter ihm die Leiter hochhangle. Es ist so grell und vor uns erstreckt sich weiß. Der Himmel ist weiß und der Boden ist weiß, wobei sich bereits in weiter Ferne eine dunkle Wolkenmasse auftürmt. Ein Sturm, einer der böse Sorte und bei dem Wetter sollen wir raus.
„Nich Smith“, ist er kurz angebunden und weiß selbst nicht, wieso er mir wegen meiner Fragerei noch keine Kugel in den Kopf gejagt hat. Und dann werden die Türen zur Kajüte des Käptens geöffnet und der Befehlshaber der Skully Ma’m gesellt sich zu seinen wertlosen Ratten. Die Crew hat sich mittlerweile versammelt, auch auf den anderen Schiffen kann ich erkennen, wie die Leute zusammen getrommelt werden und werde von dem charmanten, wohlgestimmten Tonfall des Käptens nicht weiter eingelullt. „Frag mich immer wieder, von wem er sich ficken lassen musste, um den Posten zu bekommen“, spuckt Ango neben mir aus und ich zucke wegen seiner plötzlichen Anwesenheit zusammen. Er verabscheut seinen Bruder, mehr noch als jeder andere, er hasst ihn.

                                                                       ~

Wieder schrecke ich hoch, mein Herz hämmert mir in der Brust und ich frage mich verwundert, wo der Rest der Crew ist. Bin ich auf der Jagd erwischt worden, hat mich irgendetwas am Kopf getroffen? Es dämmert bereits, das Zimmer wird immer mehr von der trüben Spätherbstsonne erleuchtet und ich realisiere, dass es wieder ein Traum war. Einer, der sich so echt angefühlt hat, so real, dass ich beinahe noch das Salz auf der Haut spüren kann und den Geschmack von Rum, gemischt mit dem Staub, den ich zuvor eingeatmet habe… . Ich schüttle den Kopf. Die Bilder lösen sich bereits wieder auf, Erinnerungen, die nie passiert sind und nur schwer zu fassen.
Wieder schüttle ich mich, will zurück auf meine Matratze fallen, weiter schlafen und reiße dann die Augen auf. Wie bin ich nach Hause gekommen? Wie?
Da war Ango, das weiß ich noch. Wie er neben mir steht, ausspuckt. Nein…. Nein. Das war der Traum. Wir waren an der Mauer, genau. Und die Polizei weiter weg und dann meinte er, er bringt mich heim. Ich habe dieses Klingeln gehört, so wie… wie das Klingeln in meinem Traum. Und dann sind wir los. Aber, ich weiß nichts mehr davon.
Ich starre zur Decke, sehe den schmutzen Putz, der an manchen Stellen abbröckelt und darunter sieht man die überstrichenen, dunklen Balken. Vielleicht werde ich verrückt? Vielleicht habe ich einen psychischen Zusammenbruch und Wahnvorstellungen? Ein Seufzen, die Sonne erhellt das Zimmer immer mehr und ich werfe einen Blick auf mein Handy, das neben der Matratze auf dem Boden liegt. Ich weiß  nicht einmal mehr, dass ich es dort hingelegt habe, aber es liegt an derselben Stelle wie immer und ist sogar an den Strom angeschlossen. Noch eine halbe Stunde und ich muss ohnehin aufstehen.
Seufzend stemme ich mich hoch, setze mich erst einmal hin, um meinen Kreislauf etwas hochfahren zu lassen und versuche mich nach wie vor verbissen an meinen Heimweg zu erinnern. Mir kommt es sogar vor, als hätte ich nach wie vor den Geschmack der Rums im Mund und schließlich überwinde ich mich mit bloßen Füßen über den kalten Boden zu laufen. Fröstelnd schlinge ich die Arme um mich, vermisse meine Decke augenblicklich und laufe ins Bad, um mir endlich die Zähne zu waschen. Ich habe keinen Tropfen Alkohol in dieser Nacht angerührt, aber das Gefühl, es bleibt. Und auch der Drang mir bereits um diese Uhrzeit einen Schnaps zu genehmigen. Nach dem Konsum der letzten Wochen bin ich bestimmt bereits körperlich abhängig, zumindest ein bisschen. Mein Kopf ist es.
Mit schlotternden Zähnen steige ich schließlich unter die Dusche, sehe meinen eigenen Atem und hoffe darauf, dass es bereits warmes Wasser gibt. In der Früh, dann wenn man es am Meisten braucht, ist eben dieses Mangelware.
Nach einer ausgiebigen, warmen Dusche, entspannt, gut gelaunt und bereits mein Frühstück geschmiert, mache ich mich fröhlich summend auf den Weg zu meiner geliebten Arbeit. Die Dusche war kalt, mein Kühlschrank ist so leer wie mein Magen und der verdammte Bus kommt nicht. Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen die Wand der Bushaltestation schlagen, immer wieder, lehne mich aber stattdessen seufzend dagegen. Auf den nächsten Bus zu warten bedeutet zu spät zu kommen, loszulaufen bedeutet zu spät zu kommen, darauf zu hoffen, dass sich ein Taxi mir erbarmt… und ich strecke wenig enthusiastisch den Daumen raus.
Tatsächlich, nach nur wenigen Sekunden löst sich eines der gelben Autos aus dem Verkehr, fährt auf die Bushaltestelle, zu mir und vor allem an mir vorbei. Eine Ladung des dreckigen Regenwassers, eiskalt natürlich, schwappt über meine Schuhe und durchnässt diese völlig. Ich sehe dem Wagen nach, der eine Dame aufgelesen hat, die so wie ich sonst immer den Bus nimmt. Wahrscheinlich sollte ich heulen, nach all diesen Tiefschlägen, nach all dem, was mir alleine die letzten Tage passiert ist. Einfach heulen. Aber stattdessen stehe ich an der Bushaltestelle, höre das erste Grollen vom Himmel, ein Sturm hat sich bereits die letzte Stunde zusammen gebraut und die Wolken sind immer dunkler geworden, und ich fange an zu lachen, noch bevor die ersten Tropfen fallen können.
Ich muss verrückt werden.
Fünf Minuten zu spät und völlig abgehetzt schaffe ich es dann doch noch an meinen Schreibtisch. Bei jedem Schritt quietschen meine Schuhe und ich bin klitschnass. Immerhin hat der Busfahrer sich doch noch erbarmt und realisiert, dass er seine Route eventuell doch einhalten sollte. Er hatte also nur fünf Minuten Verspätung, die sich dann in zehn, fünfzehn und zwanzig verlängert haben, da der Verkehr einfach die Hölle war.
Hechelnd ziehe ich mir den Mantel aus, hänge ihn an die Heizung zum Trocknen, laufe zurück an meinen Schreibtisch, in dem äußersten Winkel des Großraumbüros und hoffe einfach, dass wegen der fünf Minuten… „In mein Büro, Smee“, schallt es mir entgegen und ich sehe Jim bereits Gesichtsausdruck an, dass er es sehr wohl mitbekommen hat. Er wirkt streng, grinst dann aber doch süffisant und als ich zwischen den Tisch hindurch, den langen Weg zu seinem Büro laufe, dabei von allen Kollegen mit spöttischen, teilweise auch mitleidigen Blicken bedacht werde, da komme ich mir schon ein bisschen vorgeführt vor. Wie der Walk of Shame. Aber irgendwie in schlimmer, viel schlimmer.
Ohne die anderen weiter zu beachten gehe ich also mit erhobenem Haupt meinem Untergang entgegen. Wahrscheinlich werde ich da drin aufgehängt, verbrannt und gevierteilt, genau in dieser Reihenfolge, nach gestern Abend ein milder Tod. Ich trete ein, sehe zu Jim und dieser ist gerade am Telefon, hat mir noch den Rücken zugewandt und redet auf irgendjemanden ein. Er lässt mal wieder seinen Charme spielen und als dieser nicht durchdringt, wird er deutlicher.
Mittlerweile hat er sogar meine Anwesenheit registriert und scheint sich dazu herabzulassen, dass ich lange genug in der offenen Tür gestanden bin und von allen zur Genüge begafft wurde. Er wedelt mit der Hand, bedeutet mir die Tür zu schließen und kaum dass ich das getan habe, nach wie vor unsicher stehe und nicht weiter in den Raum hinein gehe, hat er auch endlich sein Gespräch beendet.
Vor ihm liegen meine bearbeiteten Akten und er lässt seine Hand auf diese fallen. Ich beobachte das Ganze, folge seinen Bewegungen und bleibe völlig regungslos, als er anfängt zu sprechen: „Die Akten von Gestern gehören sortiert, falls ich das nicht erwähnt hatte. In dem Schrank in den Archiven und wenn du damit fertig bist, hat Willi noch ein paar neue Akten für dich. Muss heute alles fertig werden.“
Und damit wendet er sich wieder ab.
Ich starre ihn an, starre und von kurz so perplex, dass ich mich nicht rühren kann. Deswegen hat er mich in sein Büro gerufen, allen das Gefühl gegeben, dass ich gerade zusammen geschissen werde und sich jeder das Maul darüber zerreißt, wie ich da noch mit heiler Haut heraus gekommen bin.
Es war nur Schikane, mehr nicht. Einfach nur um mich schon am frühen Morgen vorzuführen und mir zu demonstrieren, dass er alle Macht über mich hat und ich nicht das kleinste Bisschen über ihn. Wieso genau er das macht ist mir nicht klar.
„War’s das?“, hake ich etwas salopp nach, gehe nach vorne zum Tisch und hole die Akten. Seine Reaktion auf meine Bemerkung ist tatsächlich der Blick mit den gehobenen Augenbrauen. „Ja, ja…“, zögert er dann doch kurz und ich sehe es, so etwas wie… Unsicherheit. Mit viel Fantasie zumindest, denn er winkt mich augenblicklich hinaus, mit einer so herablassenden Geste, dass ich mir noch schäbiger vorkomme als eine verlauste Töle.
Als ich die Tür hinter mir schließe und die gespannten Gesichter sehe, wird mir bewusst, wie kalkulierend dieser Mann ist. Fast wie wenn er all diese Menschen lenkt, sie steuert und an den richtigen Fäden zieht. Alles springt, wenn er pfeift. Ohne ein weiteres Wort und die Akten vor mir herschleppend, laufe ich zum Aufzug. Es geht nach unten. Tiefer und tiefer, bis in den Untergrund und langsam wird mir klar, dass ich wahrscheinlich heute kein Tageslicht mehr sehen werde.
Gleichzeitig, noch während ich im Aufzug stehe und versuche nicht alles fallen zu lassen, realisiere ich, dass ich nicht erleichtert bin. Ich habe nicht den geringsten Anschiss bekomme, ich wurde weder beleidigt, also nicht direkt und auch sonst ist  nichts vorgefallen. Nein. Er hat mich nicht gefeuert.
Und trotzdem ist da dieses bedrückende Gefühl, dass ich erst nicht zuordnen kann. Es fühlt sich so trist an, so niederschmetternd.
Ich bin enttäuscht. Ich bin ernsthaft enttäuscht, dass ich nicht gefeuert wurde.
Das Pling des Aufzugs reißt mich aus meinen Gedanken, die Türen öffnen sich und ich werde vom flackernden Licht der Neonröhren begrüßt.
Was willst du dort nur? Beinahe kommt es mir so vor, als würde seine Stimme von den Wänden wiederhallen.

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