Sonntag, 1. November 2015

Never Tag 1

Wer sich nun wundert, was soll denn das. Ich mache beim Nanowrimo mit und habe mir das Thema Peter Pan erklaut, erstolen, geraubt und was einem noch so einfällt. Eine Postapokalypse und wahrscheinlich auch nichts für zart besaitete Gemüter.

Hier nun der knappe Prolog





Erstens

„Peter Pan ist tot.“
Sein Gesicht bleibt völlig starr, die Lippen schimmern, die Wangenknochen springen hervor und selbst die Augenlider zucken nicht einmal. Keine Reaktion, aber derer ist er auch nicht weiter fähig, da die Botoxbehandlung nicht einmal zwei Tage zurück liegt und neben den Fältchen auch die ganze Mimik verschwunden ist. Keiner der anderen Anwesenden zeigt auch nur den kleinsten Funken von Gefühl, neben der erhabenen Überheblichkeit, die alle ausstrahlen und natürlich der Gier, die ihre perfekt renovierten Gesichter verunstaltet.
Der Blick von Botoxfresse, kurz Mr. Channer, geht durch die Runde, ohne dass er dabei auf sonderlich viel Interesse stößt oder gar eine gerunzelte Stirn, was Falten verursachen könnte. Alle anderen fünf Firmeninhaber scheinen besseres zu tun zu haben, so wie die Lady in Senfgelb, dem hässlichen Senfgelb, welchem man einen Stich Grün und eindeutig etwas zu viel Grau hinzugemischt hat und das vor allem gerade unglaublich Allure ist, tippt mit den farbig passenden, sehr langen Fingernägeln auf ihrem mit Steinchen verzierten Smartphone herum. Ihr Nebensitzer, der fette Texaner, der es zu sehr viel Wohlstand gebracht hat, kaut Kaugummi, wippt und sieht durch die Glaswand der Sekretärin und ihrem Hinterteil nach. Dann ist da noch Mr. Perfect, welchem wiederum die Sekretärin hinterher sieht. Mit seinen grünen Augen, dem blond gefärbten Haar, welches aber so natürlich wirkt, dem perfekten Körper und den strahlend weißen Zähnen, ist er wie aus einem Männerkatalog oder eben für Frau gebacken. Man sieht ihn auch ab und an in einem Männerkatalog und er hat so gut wie alles auf dieser und jeder anderen Etage flachgelegt.
Übrig bleibt der vierte im Bunde, mit peniblem Mittelscheitel, penibel sauberem Anzug, grau in grau, nur keine Akzente setzen, ach und die Ordnung vor ihm ist überirdisch. Er misst sogar aus, wo sein Bleistift liegt. Eben dieser, nämlich Mr. Smith, ein Allerweltsname, wie könnte es auch anders sein, erhebt einen kurzen Einwand.
„Und was genau soll daran jetzt neu sein, Ruppert?“, hakt er nach und selbst seine Stimme ist so normal, so gar nicht herausstechend, dass sie beinahe in diesem großen, prachtvollen Besprechungssaal falsch wirkt. Mr. Channer würde gerne eine Augenbraue heben, was er nicht kann, während man durch die Panoramafenster direkt hinter ihm die Skyline der Metropole sieht. Es wird bereits kühl, die Bäume verlieren ihre Blätter und wenn man draußen ist, kann man in der Früh den ersten Geruch von Schnee in die Nase bekommen, lediglich ein Hauch.
„Es gibt nichts Neues daran, das ist es ja“, meint Botox und seine nasale Stimme scheint den Cowboy aus seinen Tagträumerein zu reißen. „Was soll dann dieser ganze Unsinn. Am Telefon hieß es du hättest die Idee um den Umsatz zu steigern“, poltert er los und es fehlt nur noch dass er seinen Colt zieht, um damit in die Luft zu ballern oder eben die Decke.
„Wie mir ihre provinzielle Echauffiertheit doch gefehlt hat“, schaltet sich nun auch Charming ein und bekommt dafür von Seitens aller seiner Kollegen einen dankenden Blick. Von wirklich allen, da der Cowboy ihn nicht ganz versteht. Das leise Klirren der Gläser unterbricht die plötzliche Ruhe etwas zu deutlich, wird jedoch ignoriert. „Aber, aber, ich komme doch su dem Punkt“, wie immer, was aber auch seiner Sucht nach der künstlichen Verjüngung zuzuschreiben ist, kann er das Z bereits nicht mehr aussprechen, betont dafür aber das K und T so feucht, dass die Spucketröpflein auf den Tisch fliegen.
Und dann richtet sich der Fokus auf das bereitgestellte Etwas in der Mitte, welches mit einem weißen Tuch verdeckt wird.
„Die alten Seiten sind vorbei. Endgültig. Wieso daran festhalten, wieso nicht etwas Neues daraus machen.“ Selbst Lady Senfgelb sieht auf von ihrem Spielzeug und wirkt wenig überzeugt, wenn doch neugierig.
„Nun spann uns nicht so auf die Folter“, wird wieder der Cowboy laut, dieses Mal erhebt niemand Einspruch. Niemand.
„Ich präsentiere, den neuen Kameraden, welcher bald alle Kindersimmer bevölkern wird, die Regale dominiert und uns in eine gewinnbringende Sukunft führt“, lispelt er weiter, streckt die faltige Hand aus und zieht das Tuch weg.
Ein Klirren, noch bevor irgendjemand etwas sagen kann, noch bevor es die ersten Fragen gibt und alle Köpfe schießen herum. „SJ, sind Sie denn selbst zu dumm ein paar Gläser zu transportieren?“, es ist Charming und er lächelt dabei, mit diesen perfekten Zähnen, diesem perfekten Gesicht. Ich möchte es ihm zu Brei schlagen, lasse jedoch stattdessen hastig den Kopf sinken, die Wangen rot angelaufen, eher wegen der Wut auf mich selbst und murmle eine hastige Entschuldigung.
Gelächter folgt, allgemeine Belustigung der Kinder, welche gerade die Ameise herum schubsen. „Ich… war nur… Entschuldigen Sie“, wende ich mich mit dem nun leeren Tablett und vor Aufregung beinahe aus der Brust springenden Herzen ab. „Was waren Sie?“, folgt die Frage, wegen der ich inne halte, bevor ich auch nur den Gedanken fasse so zu tun, als hätte ich diese gar nicht gehört. Ich die Ameise, nein, ich das Stückchen Dreck.
Hast du denn nichts gelernt? Habe ich dir nicht beigebracht, dass du in diese Welt gar nicht möchtest? Was willst du denn in solch einer Firma, bei diesen Menschen?  Seine Stimme geht mir einfach nicht aus dem Kopf.
„I… I… I…“, beginne ich zu Stammeln und drehe mich um, kaum dass mir auffällt wie unhöflich es doch ist dem Geschäftsführer einer der größten Spielzeugfirmen weltweit den Rücken zuzudrehen. Eine Strähne meines ausgebleichten, blond-braunen Haares hat sich wieder einmal aus dem mühevoll gesteckten Zopf gelöst und hängt mir ins Gesicht. „I-I-I, lassen wir nun auch die Behinderten auf unsere Etage?“, fragt Charming und bekommt dafür ein breites Lächeln von Lady Senfgelb zugeworfen. Mir wird nur noch Wärmer, was an der Schamesröte liegt.
„Ich war überrascht“, bringe ich heraus, während sich mein Magen immer noch mehr zusammen zieht und ich dieses Ding auf dem Tisch einfach nicht sehen will. Schon bei seinem ersten Satz habe ich zu empfindlich reagiert, vielleicht weil ich eben diesen nicht zum ersten Mal höre, vielleicht weil ich die ganze Figur Peter Pan… .
„Und was genau hat Sie daran überrascht?“, lispelt es weiter und ich versuche irgendwie zu schlucken, vor allem sämtliche Antworten hinab, die ich auf der Zunge habe. Dass er davon spricht eine neue Zukunft zu schreiben und dort auf dem Tisch eine Puppe steht, ein bisschen in Ken-Manier, halbnackt, einer Perversion des Märchencharakters gleich, modern und spärlich angezogen, tätowiert, vor allem aber in viel zu alt. Die Plastikhaut glänzt dabei mit der straffgezogenen Haut von Mr. Channer um die Wette und doch schaffe ich es ruhig ein- und auszuatmen, um zu erwidern: „Weil sie so glänzt, Sir.“ Die Fassung ist zurück, die, die ich zuvor verloren habe. Diese Vernarrtheit meines Alten in diesen Charakter, vor allem seine Vernarrtheit darin, dass Pan tot war, dass ich keinen Gedanken daran verschwenden sollte, kein Wort darüber, lässt die Wut aufkochen. Und jetzt das, dieses Ding, statt dass sie dieses Elend einfach dort lassen wo es hingehört, vergessen und tot, in den hintersten Ecken des Gedächtnisses, holen Sie ihn wieder heraus. Pan.
Ich spucke auf Pan, ich tanze auf seinem Grab. Er hat uns doch alle zurück gelassen.
„Glänzt, natürlich, darauf steht ihr Piraten, nicht wahr Smee“, das Gelächter schallt in meinen Ohren wieder, ich kann kaum atmen und schaffe es doch freudlos die Mundwinkel hochzuziehen, zu nicken und mich dann umzuwenden, kaum dass ich durch ein Kopfnicken entlassen werde.
Dieser Name, wie ich ihn doch verabscheue.
Wie er mich verfolgt.
Mich prägt.
Smee.

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