Hier nun der knappe Prolog
Erstens
„Peter Pan ist tot.“
Sein Gesicht bleibt völlig starr,
die Lippen schimmern, die Wangenknochen springen hervor und selbst die
Augenlider zucken nicht einmal. Keine Reaktion, aber derer ist er auch nicht
weiter fähig, da die Botoxbehandlung nicht einmal zwei Tage zurück liegt und
neben den Fältchen auch die ganze Mimik verschwunden ist. Keiner der anderen
Anwesenden zeigt auch nur den kleinsten Funken von Gefühl, neben der erhabenen
Überheblichkeit, die alle ausstrahlen und natürlich der Gier, die ihre perfekt
renovierten Gesichter verunstaltet.
Der Blick von Botoxfresse, kurz Mr.
Channer, geht durch die Runde, ohne dass er dabei auf sonderlich viel Interesse
stößt oder gar eine gerunzelte Stirn, was Falten verursachen könnte. Alle
anderen fünf Firmeninhaber scheinen besseres zu tun zu haben, so wie die Lady
in Senfgelb, dem hässlichen Senfgelb, welchem man einen Stich Grün und
eindeutig etwas zu viel Grau hinzugemischt hat und das vor allem gerade
unglaublich Allure ist, tippt mit den farbig passenden, sehr langen
Fingernägeln auf ihrem mit Steinchen verzierten Smartphone herum. Ihr
Nebensitzer, der fette Texaner, der es zu sehr viel Wohlstand gebracht hat,
kaut Kaugummi, wippt und sieht durch die Glaswand der Sekretärin und ihrem
Hinterteil nach. Dann ist da noch Mr. Perfect, welchem wiederum die Sekretärin
hinterher sieht. Mit seinen grünen Augen, dem blond gefärbten Haar, welches
aber so natürlich wirkt, dem perfekten Körper und den strahlend weißen Zähnen,
ist er wie aus einem Männerkatalog oder eben für Frau gebacken. Man sieht ihn
auch ab und an in einem Männerkatalog und er hat so gut wie alles auf dieser
und jeder anderen Etage flachgelegt.
Übrig bleibt der vierte im Bunde,
mit peniblem Mittelscheitel, penibel sauberem Anzug, grau in grau, nur keine
Akzente setzen, ach und die Ordnung vor ihm ist überirdisch. Er misst sogar
aus, wo sein Bleistift liegt. Eben dieser, nämlich Mr. Smith, ein
Allerweltsname, wie könnte es auch anders sein, erhebt einen kurzen Einwand.
„Und was genau soll daran jetzt neu
sein, Ruppert?“, hakt er nach und selbst seine Stimme ist so normal, so gar
nicht herausstechend, dass sie beinahe in diesem großen, prachtvollen
Besprechungssaal falsch wirkt. Mr. Channer würde gerne eine Augenbraue heben,
was er nicht kann, während man durch die Panoramafenster direkt hinter ihm die
Skyline der Metropole sieht. Es wird bereits kühl, die Bäume verlieren ihre
Blätter und wenn man draußen ist, kann man in der Früh den ersten Geruch von
Schnee in die Nase bekommen, lediglich ein Hauch.
„Es gibt nichts Neues daran, das
ist es ja“, meint Botox und seine nasale Stimme scheint den Cowboy aus seinen
Tagträumerein zu reißen. „Was soll dann dieser ganze Unsinn. Am Telefon hieß es
du hättest die Idee um den Umsatz zu steigern“, poltert er los und es fehlt nur
noch dass er seinen Colt zieht, um damit in die Luft zu ballern oder eben die
Decke.
„Wie mir ihre provinzielle Echauffiertheit
doch gefehlt hat“, schaltet sich nun auch Charming ein und bekommt dafür von
Seitens aller seiner Kollegen einen dankenden Blick. Von wirklich allen, da der
Cowboy ihn nicht ganz versteht. Das leise Klirren der Gläser unterbricht die
plötzliche Ruhe etwas zu deutlich, wird jedoch ignoriert. „Aber, aber, ich
komme doch su dem Punkt“, wie immer, was aber auch seiner Sucht nach der
künstlichen Verjüngung zuzuschreiben ist, kann er das Z bereits nicht mehr
aussprechen, betont dafür aber das K und T so feucht, dass die Spucketröpflein
auf den Tisch fliegen.
Und dann richtet sich der Fokus auf
das bereitgestellte Etwas in der Mitte, welches mit einem weißen Tuch verdeckt
wird.
„Die alten Seiten sind vorbei.
Endgültig. Wieso daran festhalten, wieso nicht etwas Neues daraus machen.“
Selbst Lady Senfgelb sieht auf von ihrem Spielzeug und wirkt wenig überzeugt,
wenn doch neugierig.
„Nun spann uns nicht so auf die
Folter“, wird wieder der Cowboy laut, dieses Mal erhebt niemand Einspruch.
Niemand.
„Ich präsentiere, den neuen Kameraden,
welcher bald alle Kindersimmer bevölkern wird, die Regale dominiert und uns in
eine gewinnbringende Sukunft führt“, lispelt er weiter, streckt die faltige
Hand aus und zieht das Tuch weg.
Ein Klirren, noch bevor
irgendjemand etwas sagen kann, noch bevor es die ersten Fragen gibt und alle
Köpfe schießen herum. „SJ, sind Sie denn selbst zu dumm ein paar Gläser zu
transportieren?“, es ist Charming und er lächelt dabei, mit diesen perfekten
Zähnen, diesem perfekten Gesicht. Ich möchte es ihm zu Brei schlagen, lasse
jedoch stattdessen hastig den Kopf sinken, die Wangen rot angelaufen, eher
wegen der Wut auf mich selbst und murmle eine hastige Entschuldigung.
Gelächter folgt, allgemeine
Belustigung der Kinder, welche gerade die Ameise herum schubsen. „Ich… war nur…
Entschuldigen Sie“, wende ich mich mit dem nun leeren Tablett und vor Aufregung
beinahe aus der Brust springenden Herzen ab. „Was waren Sie?“, folgt die Frage,
wegen der ich inne halte, bevor ich auch nur den Gedanken fasse so zu tun, als
hätte ich diese gar nicht gehört. Ich die Ameise, nein, ich das Stückchen
Dreck.
Hast
du denn nichts gelernt? Habe ich dir nicht beigebracht, dass du in diese Welt
gar nicht möchtest? Was willst du denn in solch einer Firma, bei diesen
Menschen? Seine Stimme geht mir einfach nicht
aus dem Kopf.
„I… I… I…“, beginne ich zu Stammeln
und drehe mich um, kaum dass mir auffällt wie unhöflich es doch ist dem
Geschäftsführer einer der größten Spielzeugfirmen weltweit den Rücken
zuzudrehen. Eine Strähne meines ausgebleichten, blond-braunen Haares hat sich
wieder einmal aus dem mühevoll gesteckten Zopf gelöst und hängt mir ins
Gesicht. „I-I-I, lassen wir nun auch die Behinderten auf unsere Etage?“, fragt Charming
und bekommt dafür ein breites Lächeln von Lady Senfgelb zugeworfen. Mir wird
nur noch Wärmer, was an der Schamesröte liegt.
„Ich war überrascht“, bringe ich
heraus, während sich mein Magen immer noch mehr zusammen zieht und ich dieses
Ding auf dem Tisch einfach nicht sehen will. Schon bei seinem ersten Satz habe
ich zu empfindlich reagiert, vielleicht weil ich eben diesen nicht zum ersten
Mal höre, vielleicht weil ich die ganze Figur Peter Pan… .
„Und was genau hat Sie daran
überrascht?“, lispelt es weiter und ich versuche irgendwie zu schlucken, vor
allem sämtliche Antworten hinab, die ich auf der Zunge habe. Dass er davon
spricht eine neue Zukunft zu schreiben und dort auf dem Tisch eine Puppe steht,
ein bisschen in Ken-Manier, halbnackt, einer Perversion des Märchencharakters
gleich, modern und spärlich angezogen, tätowiert, vor allem aber in viel zu
alt. Die Plastikhaut glänzt dabei mit der straffgezogenen Haut von Mr. Channer
um die Wette und doch schaffe ich es ruhig ein- und auszuatmen, um zu erwidern:
„Weil sie so glänzt, Sir.“ Die Fassung ist zurück, die, die ich zuvor verloren
habe. Diese Vernarrtheit meines Alten in diesen Charakter, vor allem seine
Vernarrtheit darin, dass Pan tot war, dass ich keinen Gedanken daran verschwenden
sollte, kein Wort darüber, lässt die Wut aufkochen. Und jetzt das, dieses Ding,
statt dass sie dieses Elend einfach dort lassen wo es hingehört, vergessen und
tot, in den hintersten Ecken des Gedächtnisses, holen Sie ihn wieder heraus.
Pan.
Ich spucke auf Pan, ich tanze auf
seinem Grab. Er hat uns doch alle zurück gelassen.
„Glänzt, natürlich, darauf steht
ihr Piraten, nicht wahr Smee“, das Gelächter schallt in meinen Ohren wieder,
ich kann kaum atmen und schaffe es doch freudlos die Mundwinkel hochzuziehen,
zu nicken und mich dann umzuwenden, kaum dass ich durch ein Kopfnicken
entlassen werde.
Dieser Name, wie ich ihn doch
verabscheue.
Wie er mich verfolgt.
Mich prägt.
Smee.
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