Das Wesen hält immer über eine
Armlänge Abstand, wahrscheinlich aus Sicherheit. So kann ich ihn nicht einfach
schnappen, wäre aber fast in ihn hinein gekrochen, lustig allein die
Vorstellung und absurd, das arme Ding würde ja platzen, als er anhält.
Beben, Kreischen, wieder Schreie,
ich hebe den Kopf gar nicht über die grüne Masse, will es nicht sehen und dann
geht es auch schon wieder weiter. Er schnuppert, wuselt umher, gibt diese
schnurrenden, gurrenden Laute von sich und biegt nach links ab. Wir kommen an
Wurzeln und riesigen Stämmen vorbei, Blumen, die bereits an dem dauerhaften
Klimawechsel eingehen. Noch während ich mir einrede, dass ich nicht einfach nur
im Kreis durch den Dreck und einem beschränkten Wesen hinterher krieche, dass
noch schlimmer ist als Ratten und noch dümmer, als… das meiste was man so
kennt, da realisiere ich, dass die Zusammentreffen mit den Vögeln immer weniger
geworden sind.
Vielleicht ist dieses dämliche,
kleine Vieh gar nicht so doof wie es aussieht oder wie man annimmt, wenn man
sie von den Tauen wegscheucht, obwohl sie diese bereits total zerfressen haben.
Es blökt, scheint mit meinem immer langsamer werdenden Tempo nicht zufrieden zu
sein und wartet tatsächlich auf mich. Dass er nur durch Zufall vor mir herläuft
oder flieht kann nicht sein. Nein. Er führt mich, mein kleiner, steiniger
Führer, der Fels in der Brandung, der wachsame Weiße mit einem Hirn so groß wie
eine Erdnuss. Wie verrückt bin ich, dass ich einem Tier hinterher krieche, dass
aus Dummheit die eigene, spärliche Kleidung anfrisst oder sich selbst in die
Gliedmaßen beißt, wenn sie von diesen gestört sind?
Eigentlich möchte ich wirklich
nicht weiter darüber nachdenken, unterlasse es auch einfach und ziehe mich
japsend voran. Die Welt dreht sich immer noch oder immer mehr, die Panik flaut
ab und es bleibt der Alkohol, gemischt mit Wut. Keine gute Mischung, immerhin
kommt bei jedem Würgen dass ich von mir gebe nichts mit hoch, ich habe wenig
Lust durch mein eigenes Erbrochenes zu kriechen… was ich zuvor schon getan
habe. Aber man muss das wirklich nicht öfter als einmal… sieben… es war
eindeutig oft genug bei mir.
Erst träume ich von Feen, dann
krieche ich einem Gnom hinterher und flüchte vor den Nimmervögeln. Was passiert
wohl als nächstes? Ich werde von ein paar Rothäuten eingesammelt und mein Skalp
aufgehängt zum Trocknen. Prüfend hebe ich etwas den Kopf, spähe über meine
grüne Deckung hinweg und finde den Wald völlig reglos und friedlich vor. Keine
Rothäute, keine Nimmervögel, keine Feen und… wo ist der verdammte Gnom hin?
Schwer atmend, im eigenen Schweiß und einigem anderen gebadet und wirklich
fertig mit der Welt, meine Muskeln brennen, wie noch nie in meinem Leben, ziehe
ich mich die letzten paar Meter bis zu einem Baumstamm und lehne mich gegen
diesen. Mein Atem geht schnell und schwer, es dreht sich alles und ich habe
bereits das Bein ausgestreckt, aber das Karussell will einfach nicht anhalten.
Mehr Alkohol habe ich auch nicht.
Mir tut alles weh, mein ganzer
Körper schmerzt, die Hände, Unterarme und Knie sind offen, meine Klamotten
zerfetzt und in Blut getränkt. Und dazu kommt noch, dass ich nicht die
geringste Ahnung habe, wo ich mich befinde, noch die Kraft aufbringen könnte,
jetzt auf einen Baum zu steigen. Abgesehen davon habe ich rausgefunden, dass
ich an meinem Kopf hänge und es momentan mir persönlich einfach zu riskant ist.
Seufzend sinke ich noch etwas tiefer in mich zusammen, schließe die Augen und
reiße sie sofort wieder auf, als ich das Gesicht des Mannes sehe, wie er
schreiend die eigenen Eingeweide in Händen hält. Mein Körper bäumt sich auf,
unkontrolliert, ich keuche, ringe nach Luft, mein Magen verkrampft sich und
tatsächlich, da war noch etwas in ihm, dass ich nun, zusammen mit jeder Menge
Magensäure ausspucke. Wieder sinke ich in mich zusammen, versuche die Augen
aufzuhalten, mich so irgendwie auszuruhen und merke doch, dass ich das nicht
lange durchhalten werde. Ich friere elendig, wie ich die letzten Wochen nie
gefroren habe und das obwohl es hier so viel wärmer ist.
Viertens – 30% Nimmer
Mir ist entsetzlich übel als ich
aufschrecke. Mein Magen fühlt sich steinhart an und ich zittere am ganzen
Körper. Die Nacht war kurz und hart, das spüre ich an meinen ausgekühlten
Gliedmaßen und meinem steifen Rücken. Bei jeder Bewegung scheinen meine Knochen
zu knacken und nur schwer schaffe ich es mich aufzurichten. Zusammengekauert
habe ich unter ein paar Büsche, dicht am Stamm eines Baumes geschlafen, den
Mantel um mich geschlungen und tief darin vergraben.
Es dämmert, als ich mich langsam
und nach Orientierung suchend umsehe. Ich bin auf einer kleinen Anhöhe, wobei
ich mich frage, wann ich hier gelandet bin und meine Hände brennen. In dem
heller werdenden Licht sehen sie zerschunden und aufgeschürft aus, aber ich
kann mich nicht erinnern, wie das passiert sein könnte. Und dann liegt da
plötzlich dieser bittere Geschmack in meinem Mund, Magensäure, gemischt mit
Blut, aber noch etwas anderes, dieses Gefühl, dass ich irgendetwas vergessen
habe. Das muss ich wohl, denn ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich
schlafen gelegt habe und wie ich zu diesem Platz gekommen bin.
Irgendwann bin ich von der Straße
abgekommen und dann durchs Unterholz, immer weiter gerade aus. Ja. Mehr ist da
aber nicht. Ich sehe auf und in das gleisende, klare Licht. Es ist so viel
reiner als beim Sonnenuntergang. Die Vögel singen dazu, der Wald rauscht im
Wind und ich kann mich nicht daran erinnern jemals etwas Schöneres gesehen zu
haben. Der Anblick verdrängt alles, das Unbehagen, den Geschmack und auch die
Schmerzen. Beinahe fühle ich mich, als würde es mir das Herz zerreißen, ich all
die Gefühle und diese Schönheit nicht ertragen können, schaffe es, tief ein-
und auszuatmen und irgendwann wird es besser.
Mir ist nach weinen, aber ich kann
nicht, nicht einmal bei diesem Anblick, genau so wenig wie ich weinen konnte,
als ich von seinem Tot erfahren habe. Makel, ich bin voll von ihnen. Nicht
einmal bei der Beerdigung habe ich geweint und nicht danach, gar nicht. Als sei
ich dazu nicht im Stande. Beim bloßen Gedanken daran schnürt es mir die Kehle
zu, während ich das Licht in mich aufsauge. Alles Gute und Reine scheint darin
zu sein und ich Kreatur, aus dem tiefsten, dunkelsten Loch gekrochen, kann nicht
anders, als voller Sehnsucht und Ehrfurcht zu erstarren.
Schließlich schaffe ich es auf die
Beine, als der Tag immer mehr Gestalt annimmt, die Nebelschwaden weniger
werden. Ich schüttle meine Glieder, versuche sie aufzuwärmen, ziehe die Nase
hoch und suche in den Taschen meines Mantels nach Kaugummis oder etwas
dergleichen. Der Geschmack in meinem Mund ist unerträglich, auch wenn ich mich
frage, woher er kommt. Ich habe wieder geträumt, das weiß ich, aber wovon…
wovon nur?
Schließlich werde ich tatsächlich
fündig, tief unten und umgeben von Haare, Fusseln und ein paar Krümeln, finde
ich ein Minzbonbon. Besser als nichts, rede ich mir ein, als ich dieses
notdürftig säubere und in den Mund schiebe. Es schmeckt auch nicht mehr nach
sonderlich viel, aber hilft doch ein bisschen. Meine Hände sehen im hellen
Licht wirklich unschön aus, die Handinnenflächen sind aufgerissen, als wäre ich
über den Boden gekrochen und auf meine Knie, die Hose ist hinüber und die Haut
darunter auch, sehen alles andere als schön aus.
Vielleicht bin ich abgerutscht, war
einfach neben mir, völlig übermüdet. Bei dem steilen Hang wäre das auch kein
Wunder. Kurz sehe ich mich um, nach einem möglichen Weg nach unten und verwerfe
den Plan umzukehren und mir einen Weg außen herum zu suchen. So steil geht es
nicht hinab, der Boden ist zwar etwas matschig vom vorigen Regen, aber es geht
schon irgendwie. Und damit mache ich die ersten Schritte, meine Füße rutschen
nach vorne, ich komme nicht einmal dazu überrascht aufzuschreien, pralle hart
auf mein Hinterteil und werde vom nächstbesten Stamm drei Meter weiter
aufgehalten. Grummelnd und knurrend versuche ich wieder auf die Füße zu kommen,
rutsche in dem Laub, dass ich natürlich schön mitgenommen habe, ab und lande
dieses Mal auf der Seite. Meine Hüfte pocht sofort schmerzhaft und mit zusammengebissenen
Zähne unterdrücke ich den Schrei. Ich drehe mich wieder auf den Rücken, halte
mich an ein paar Wurzeln fest, um nicht noch ein Stück den Hang hinab zu
kullern, was natürlich meine offenen Handflächen nicht wirklich erfreut.
Schwer atmend bleibe ich liege,
starre hinauf, zwischen den spärlichen Bäumen hindurch zum klaren, blauen
Himmel. Er war schon lange nicht mehr blau, aber über der Stadt liegt auf immer
ein Smoggemisch, wodurch man ihn seltenst sieht. Ein paar Vögel ziehen vorbei,
die Baumwipfel wiegen sich träge im Wind und die Wolken ziehen in feinen,
weißen Schlieren vorbei. Erst als ich eine Bewegung an meinem Ohr merke zucke
ich nach oben, fuchtle mit den Händen, schlage nach dem Ding und denke kurz,
dass es der Gnom ist.
Und dann halte ich verwirrt inne,
blinzle und schüttle den Kopf. Gnom. Ein Insekt war das, eine elende Spinne,
die versucht hat in mein Ohr zu kriechen. Aber doch kein… . Endgültig wach,
aber mit geschundenem Körper mache ich mich daran weiter zu komme, robbe an dem
Baumstamm vorbei und rutsche einfach auf den Blättern entlang immer kleine
Stückchen nach unten, mich dabei vorsorglich an Stämmen, Ästen und Wurzeln
festhaltend, damit ich nicht zu schnell werde.
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