Völlig fertig schrecke ich hoch,
spüre wie mir der Speichel aus dem Mundwinkel gelaufen ist und gleichzeitig,
dass es nicht unbedingt gut ist, wenn ich so verkatert auf dem Bauch liege. Mir
ist übel, mein Kopf tut weh und in meinem Mund scheint es nur so zu wachsen und
zu gedeihen. Meine Zunge fühlt sich taub an, als wäre sie von einem
widerwertigen Flaum überzogen und der Geschmack von dem letzten Bier hängt mir
noch im Mund.
Auch von Rauch, wobei ich mich
frage woher der kommt, da man in keinem Pub mehr rauchen darf. Und dann, nach
einer Ewigkeit in der ich nur vor mich hinstarre, mühe ich mich doch hoch,
realisiere, dass ich in meiner Wohnung bin und kann mich nicht ansatzweise
daran erinnern, wie ich hier gelandet bin.
Langsam taumle ich Richtung Bad,
versuche mich nicht direkt im Flur zu übergeben und kann mich grob daran
erinnern, dass ich bereits gekotzt habe. Auf einem Steg und auf Eis… und.
Verwirrt halte ich inne, blinzle und ignoriere den Schwindel. Ein paar letzte
Fetzen des Traums hängen noch in meinem Hirn, aber auch diese verflüchtigen
sich. Es klang alles logisch, alles so verdammt logisch und auch das, was ich
über meinen Adoptivvater zusammen gesponnen habe.
„Peter Pan“, lache ich trocken auf,
gehe ins Bad und spucke in das Waschbecken, bevor ich mich im Spiegel
betrachte. Das Licht der Straßenlaterne direkt vor meinem Fenster reicht aus
und demonstriert mir, dass ich erstens nicht aussehe wie ein Pirat und zweitens
mich waschen sollte. Wirklich, das wäre angebracht.
Wahrscheinlich hat mich Ango die
Straße runter und heim gebracht oder eben ich habe das irgendwie selbst
geschafft. Was für ein verrückter Traum. Das liegt nur an diesem ganzen Peter
Pan Dreck und weil mein betrunkenes Hirn irgendwie die Puppe verarbeitet hat
und die Trauer um meinen Vater damit verknüpft. Aber seltsam, ich weiß noch,
dass ich mich daran erinnern konnte, wie er mich damals getroffen hat. Im
Traum, da wusste ich das, auch wenn es bestimmt absoluter Müll war, da es mir
partout nicht mehr einfallen will, aber ich kann mir schon seit…. Eigentlich
seit ich mich erinnern kann, nicht mehr erklären, wie ich damals zu meinem Dad
gekommen bin.
Wahrscheinlich wurde ich einfach
von so einer Mitarbeiterin übergeben oder sowas, es war aber auch nicht
wichtig.
„Oh Goooott“, bringe ich heißer
heraus, stütze mich mit den Händen auf dem Waschbecken ab und lehne mich noch
etwas weiter vor, um mein Gesicht zu betrachten. Ich bin keine Schönheit,
selbst als Junge wäre ich keine Schönheit geworden, aber für eine Frau, bin ich
wirklich misslungen. Meine Haare sind dünn und in lang stören sie mich,
deswegen schneide ich sie ab. Nein, ich habe sie schon immer kurz, weil… weil…
es ebenso ist. Die Augen sind blau, aber dieses ausgewaschene Blau, das auch
ein Grau sein könnte. Mein Kinn ist spitz, das Gesicht allgemein etwas dünn, so
wie mein Körper auch. Ha und von meinem Brüsten will ich gar nicht erst
anfangen, die haben sich fast schon vor der Pubertät gedacht, ne, hab kein Bock
zu wachsen, das ist anstrengend.
Ich gehe als junger Mann durch, das
tue ich schon immer und mein Vater hat das immer unterstützt. Er hat mich wie
einen Sohn groß gezogen, ja. Genau. Und er war es auch, der meine Haare immer
abgeschnitten hat. Ich wollte gar keine kurzen Haare, ich wollte… . Wütend sehe
ich mein Spiegelbild an. Ich bin so selbst schuld. Er ist tot und nach wie vor
unterdrückt er mich, sogar ohne dass ich es merke, bis jetzt.
Müde stoße ich mich vom Waschbecken
ab, erneut wird mir schwindlig und mein Magen gibt bedrohliche Laute von sich.
Mit letzter Kraft schaffe ich es mich aus meinen Klamotten zu befreien, die
Jeans hat ein paar getrocknete, helle Flecken. Ja, ich hab eindeutig gekotzt.
Dann schleppe ich mich unter die Dusche, stell das Wasser an und sofort auf
kalt.
Ein leiser, erstickter schrei, mein
Kreislauf schießt in die Höhe, kurz wird der Schwindel noch schlimmer und
schließlich beruhigt sich mein Körper. Vielleicht kann ich danach noch etwas
schlafen, auf die ätzenden Piratenträume aber wirklich gut verzichten.
Schwankend komme ich tropf nass
hinter dem Vorhand hervor, hebe die schweren Beine über den Wannenrand und
stütze mich auf dem Waschbecken direkt daneben ab. Ein weiterer Blick in den
Spiegel bestätigt mir, dass ich nach wie vor beschissen aussehe, aber
wenigstens sauber bin. Er ist sogar etwas angelaufen, obwohl ich das Wasser
kalt gestellt habe. Es muss eisig kalt sein, aber die Heizkörper wollen nicht
so recht, obwohl der Vermieter natürlich etwas anderes behauptet.
Müde taumle ich zu der Matratze,
welche mittig im Schlafzimmer liegt und lasse mich einfach darauf fallen.
Sofort schlinge ich die Decke um mich, vergrabe mich tief darin und versuche
die kalten Füße warm zu reiben. Immerhin ist mir nicht mehr schlecht, aber
dafür merke ich nach wie vor den Alkohol. Morgen wird hart werden.
~
„Wieder zu spät“, Charming steht
tatsächlich an meinem Schreibtisch, hat den Computer bereits angeschalten und
scheint irgendetwas zu suchen. Ich ignoriere ihn, so wie er mich meist einfach
mit Missachtung straft. Er war wirklich schon immer ein Arschloch, seit ich
mich erinnern kann, auch wenn vieles aus der Jugend oder gar Kindheit völlig in
Vergessenheit geraten ist. Manchmal verspotten mich Freunde, dass mein
Gedächtnis wie ein Sieb ist, ohne Boden. Alles fällt hindurch und nur weniges
kann sich halten.
Ich weiß tatsächlich nicht mehr
viel von früher. Er sieht auch, unsere Blicke treffen sich und schon anhand
seines stocksteifen, herablassenden Getues sollte man nicht annehmen, dass wir
in der gleichen Nachbarschaft aufgewachsen sind, sogar zusammen gespielt haben.
Man verändert sich ja bekanntlich mit dem Alter, die einen werden weißer und
die anderen Arschlöcher. Passiert.
„Deine Aufgaben“, nickt er auf den
Berg an Akten neben ihm, bei welchen meine Hauptaufgabe ist, diese in den
Computer zu speißen. Eben dafür habe ich den ältesten Scanner bekommen, den sie
auftreiben konnten und natürlich den von Viren zerfressenen Computer, an
welchem sich jeder bedient. Die meist geklickten Seiten sind Pornoseiten, zeigt
mir der Browserverlauf an.
„Sharon wird ab jetzt das mit den
Getränken während den Besprechungen machen, ach, und es kommen heute ein paar
wichtige Partner vorbei. So um 13 Uhr, eben deswegen bekommst du einen
exklusiven, neuen Arbeitsplatz“, lächelt er mich doch tatsächlich kurz an und
schon alleine daran realisiere ich, dass mir das nicht gefallen wird.
Schließlich stehe ich in der
kleinen, dreckigen Abstellkammer, ohne Fenster und mit flackernder Lampe. Der
Tisch hat gerade so hinein gepasst, vor mir steht ein noch älterer Rechner und
der gleiche Scanner. Dank der Regalbretter an den Wänden muss ich aufpassen
wohin ich trete. Naja, eigentlich kann ich mich nur um einen Schritt nach vorne
oder hinten bewegen und mit geschlossener Tür ist es schwierig sich um den
Stuhl herum zu quetschen, um darauf Platz zu nehmen.
Wieder flackert das Licht, geht aus
und wieder an.
Natürlich hat es sich Jim nicht
nehmen lassen mir mein neues Domizil selbst vorzustellen, dies dabei so laut
heraus blökend, dass es die ganze Etage mitbekommt. Unterhaltung auf meine
Kosten. Ach, Jim ist das Arschloch, also Charming. Er hat sogar einen Namen,
das sollte man nicht annehmen. Wieso habe ich dieses Arschloch jemals attraktiv
und anziehend gefunden? Stimmt ja, weil er attraktiv ist, nur eben sein
Charakter ähnelt einem verkümmerten, ausgetrocknete Wurm, der eben von einem
Truck niedergewalzt wird und dessen Gedärme es zu beiden Seiten rausdrückt.
Ein tiefes Ausatmen, ich reiße mich
zusammen, finde mich einfach mit der Situation ab und der Tatsache, dass er mir
mehr oder weniger verboten hat zwischen 13 und 17 Uhr diesen Raum zu verlassen.
Kein Essen, keine Pipipausen, nichts. Ich frage mich ernsthaft, ob das als
Freiheitsberaubung durchgehen würde, lasse mich auf den Stuhl fallen, schlage
mit dem Hinterkopf gegen die Türklinke und zucke nach vorne, mir dabei die
getroffene Stelle reibend. Mein Leben ist ein verschissener Rasen, an welchem
jeder Köter halt macht. Und jetzt?
Jetzt reibe ich die pochende Haut,
bin mir sicher, dass das eine Beule gibt und greife dann nach der obersten
Akte, um diese aufzuklappen. Der Kleber darauf ist mir bis dato nicht weiter
aufgefallen, erst als er sich löst und flatternd zu Boden fällt. Fluchend beuge
ich mich vor, versuche mit dem Stuhl noch ein Stück zu rutschen, knalle mit den
Beinen gegen die Tür und versuche mich zwischen Tisch und Stuhl nach unten zu
quetschen, um die elende Notiz in die Finger zu bekommen. Hechelnd hasche ich
nach dieser, spüre wie mir die Kante der Tischplatte in die Schulter drückt und
schaffe es endlich den Zettel zu bekommen. Schwer atmend und mit rotem Kopf
komme ich wieder hoch, schlage mir natürlich wieder den Schädel an und werfe
die Akte angepisst zurück auf den Stapel.
Den Wutschrei unterdrücke ich, noch
unterdrücke ich ihn, bis ich die Worte sehe.
Die Lippen hart aufeinander
gedrückt und die Zähne verzweifelt zusammen gebissen entkommt mir ein lang
gezogener, mehr als angepisster Ton. Am liebsten würde ich aufspringen und aus
dem Raum stürmen, was aber damit enden würde, dass ich verzweifelt versuche die
Tür zu öffnen und dann samt Stuhl aus dieser verschissenen Kammer kippe.
„Bitte
alles bis morgen früh auf meinem Schreibtisch, Kisses“
Dieses Arschloch, dieses verfickte
Arschloch. Ich starre die Akten an, den Zettel, wieder die Akten und zerreiße
dann, einem plötzlichen Impuls folgend, das kleine Stück Papier. Die kleinen
Fetzen rieseln zu Boden und ich lasse den Kopf hängen, versuche mich zu
beruhigen.
Das ist niemals heute machbar,
niemals.
Er weiß das genauso gut wie ich und
trotzdem werde ich es machen müssen, auch wenn ich die ganze beschissene Nacht
in dieser Kammer sitze. Knurrend greife ich nach der ersten Akte, die
Verzweiflung hat gar nicht erst eingesetzt, stattdessen ist da Wut. Die gleiche
Wut, die ich heute Nacht verspürt habe, auf mich und meinen Vater. Dann werde
ich diese Akten durcharbeiten und ihm morgen früh auf den Tisch knallen, direkt
vor seine hässliche, arrogante Visage. Ein fieses, kleines Lächeln schleicht
sich auf meine Lippen.
Vielleicht knalle ich sie ihm auch
direkt ins Gesicht.
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