Sonntag, 22. November 2015

Never Tag 18, 19, 20, 21



Etwas peinlich berührt und wirklich bemüht nicht direkt auf diese Bauchmuskeln zu starren, versuche ich umständlich und mit beiden Händen erhoben aufzustehen. Ob der mich überhaupt versteht?
Kaum dass ich etwas aufrecht bin, die Beine immer noch leicht eingeknickt, nimmt er die Speerspitze weg, dreht den Stab so flüssig und schnell in der Hand, dass mir schon vom Zusehen schlecht wird und stößt mir dann das Ende des Schafts hart gegen die Brust.
„Uh“, macht es, als mir die Luft aus der Lunge gepresst wird und mein ohnehin lädierter Oberkörper vor Schmerz aufschreit… oder bin das ich? Ach nein, nein. Ich schreie nicht, ich taumle nur, fange mich an einem Stamm ab und habe sofort wieder die Speerspitze unter dem Kinn.
Wieder hebe ich die Hände, wedle etwas damit, als wollte ich abheben und komme mir wirklich dämlich vor. „Ich nix böse und so, wa“, sage ich und werde nach wie vor zu Tode gestarrt. Dieser Blick, da kanns einem schon kalt den Rücken runter laufen oder heiß werden… also, so beides zusammen und irgendwie ziehts auch etwas weiter unten. Aber es tut nicht weh und dann dieser Oberkörper. Kein Wunder, dass wir Piraten als Fett und Untrainiert gelten, sieht sich mal bitte jemand diese Muskeln an.
Ich werde wieder vor die Brust geschlagen, bin erneut nicht sonderlich darauf vorbereitet und knalle gegen den Stamm. Mein angepisstes Grummeln beeindruckt ihn nicht, mich hingegen beeindruckt diese lange, harte Stange, die er da in Händen… denk an was anderes.
„Uga, Uga, hu hu“, mache ich, wedle wieder mit den Händen und erneut stößt er mich, was dieses Mal meine Brust erwischt. Die Rechte und der Schmerz lässt mich auf japsen und treibt mir die Tränen in die Augen. Die Dinger sind zwar klein und mit Stoff runter gebunden, ja, ABER DAS TUT WEH. Kurz tut sich da auch tatsächlich etwas in seinem Gesicht, diesem düsteren, harten, männlichen, dezent attraktiven… . Und dann wird mir das Stabende voll auf die Stirn geschlagen, genau zwischen die Augen und es gehen einfach die Lichter aus.

                                                                       ~

„Und wohin möchtest du?“, sie klingt, als würde sie sich bereits wiederholen und ich blinzle verwirrt, sehe mich um. Wo ist… . „Wa… was?“, frage ich und sehe mich in der kleinen, gemütlichen Küche um. Draußen ist es bereits hell, noch früh am Morgen und doch schafft es die Sonne nicht mehr durch die Wolkendecke. Als mein Blick an ihr hängen bleibt, realisiere ich, dass sie irgendwie besorgt wirkt. Die Nacht scheint einfach so vorbei gegangen zu sein. Wie viele Stunden… und dann fällt mein Blick auf die Kücheuhr. Sieben Uhr, das heißt fünf bis sechs Stunden sind einfach verschwunden, aus meinem Gedächtnis radiert. Nicht ganz. Es ist nicht mehr nur dieser Nachgeschmack, wenn man verzweifelt versucht an einer Erinnerung festzuhalten, sie zum Greifen zu bekommen und doch scheitert. Nein, da sind Bilder. Orte, die ich nie gesehen habe, Wesen und Geschichten.
Ich blinzle, male mit den Zähnen und realisiere, dass mein Kinn immer noch weh tut, was mich an den Aufprall denken lässt, den ich selbst doch gar nicht erlebt habe. Humbug. Absoluter Humbug, wie der alte Scrooge so gerne sagt. „Humbug“, flüstere ich, bewege mehr die Lippen und doch hat sie es bemerkt, beugt sich etwas vor, um mich irgendwie zu verstehen.
„Was?“, fragt sie und hat dabei die Augenbrauen gehoben. „Ich… ich werde dann mal weiter gehen“, sage ich, stocke erst und bin beinahe erleichtert, als ich es ausgesprochen habe. Ihre Miene verdüstert sich etwas, da ist keine Wut, sondern viel mehr so etwas wie… als wüsste sie, dass sie mich nicht davon abhalten kann und eben das stimmt sie traurig. Nicht direkt, dass ich weiter gehe, sondern das was ich auf mich nehmen werde. Schon bei diesen Schlussfolgerungen, Spekulationen, frage ich mich, woher genau ich weiß, dass sie genau das denkt. Ich weiß es ja nicht, ich nehme es nur an und bin mir doch völlig sicher.
„Willst du wenigstens den Sturm vorbei ziehen lassen?“, versucht sie es doch noch einmal und sieht besorgt aus. Ich schüttle den Kopf. Nach diesem Sturm wird der Nächste kommen und dann noch einer und so wird es weiter gehen, bis dann der Schnee so hoch liegt, dass man nur noch schwer die Tür aufbekommt. Wir sind hier weit oben im Norden, die Winter sind hart, so wie die Leute auch. Langsam, beinahe schwerfällig komme ich hoch, mein Körper zittert, vielleicht vor Erschöpfung, aber da ist auch Nervosität.
Ich könnte hier bleiben. „Du könntest hier bleiben“, sagt sie und ich sehe sie einfach nur an. Man braucht hier „draußen immer Hilfe“, vervollständigt sie das was ich denke und lächelt dabei so herzlich, so warm. Jedes Härchen auf meinem Körper scheint sich aufgestellt zu haben. Draußen heult es, während wir bereits vor der gläsernen Tür stehen und ich mich anziehe.
„Hier nimm das, mit deinen Schuhen kommst du nicht weit und das“, drückt sie mir eine dicke Jacke und festes Schuhwerk, sowie Wollsocken in die Hände. Sogar ein paar Handschuhe und eine Mütze. Über die Jacke ziehe ich meinen Mantel und als die Tür aufgeht, sich aus ihrem Griff befreit und vom Windstoß gegen die Wand geschlagen wird, der Schnee mir ins Gesicht schlägt, wie tanzender, weißer Staub, glühend in den wenigen Strahlen der Sonne, welche sich, wie die langen Finger Gottes den Weg durch die dunkle Wolkenmasse bahnen, da weiß ich, dass ich hier nicht bleiben kann.
„Solange ich hier bin, bist du willkommen“, ruft sie gegen den Wind, ich ziehe mir den Schal ins Gesicht und nicke, erwidere ihr Lächeln und bin mir sicher, dass sie dies erkennen kann. Sie lächelt zurück und dann tue ich den ersten Schritt.
Kalt und rau zerrt der Wind an mir, fährt unter meine Kleidung und doch ist mir nicht ansatzweise so kalt wie am Vortag. Noch einmal drehe ich mich um, nach einigen Metern, sehe zurück zum Haus, zu ihr, wie sie dort in ihrem Eingang steht. Es wirkt wie ein riesiges Fenster, der verschnörkelte Balkon an der Veranda verstärkt diesen Eindruck noch.
„Es wird immer für dich offen stehen“, ihr Rufen wird vom Wind weggeweht, ich kann nur erraten, was genau sie sagt und doch kommen mir die Worte seltsam vor. So seltsam. Es erinnert mich an etwas und während ich weiter gehe, mich gegen den Wind kämpfe, kreisen meine Gedanken um diesen einen Satz.
Von Minute zu Minute scheint es dunkler zu werden, auch wenn ich mir bewusst bin, dass Stunden vergangen sein müssen. Die Kälte hat sich wieder tief in meine Knochen geschlichen, aber sie ist erträglich, dieses Mal ist sie nicht tödlich. Ihr Tee hält mich warm und doch habe ich nur noch Proviant bis zum Abend. Dass ich mein Mobiltelefon und den Geldbeutel bei ihr vergessen habe bemerke ich erst spät, aber es schert mich auch nicht. Es kommt mir so nebensächlich und beinahe lachhaft vor. Was will ich damit auch? Brauche ich es hier? Nein.
Die Einöde erstreckt sich weit, hier und da Bäume, Sträucher, die bereits leer sind und der Schnee bleibt auf dem Boden liegen, je später es wird. Es knirscht und knackt und schließlich stoße ich im Halbdunkeln der Dämmerung auf eine Straße, welche sich strickt gerade aus zieht und zumindest eine Zeit lang in meine Richtung geht.
Die Dunkelheit übernimmt immer mehr, die Schatten werden länger und länger, das Licht immer trüber und bald kann ich keine zwei Meter mehr weit sehen. Die Straße selbst ist abgefahren und alt, die Ränder kaputt und notdürftig einige Löcher mit Kies gefüllt. Auch der Tee ist mittlerweile leer, was ich seufzend feststelle, als ich mich auf einem größeren Stein am Straßenrand nieder gelassen habe und auch das letzte Bisschen Essen aufgebraucht habe.
Die Thermoskanne nehme ich weiter mit, falls ich etwas zu trinken finde und den Berg nur noch erahnen kann. Ich hatte nicht gesehen, dass die Straße irgendwie abbiegen würde in nächster Zeit, zumindest nicht soweit ich es in dieser Nacht schaffen würde. Beinahe kommt es mir vor, als müsste ich das wieder einholen, was ich in der vorigen Nacht nicht geschafft habe. Humbug.
Ich lache in den Schal, stapfe weiter und als dann die Wolkendecke aufreißt erhellt der Mond den Weg. Der Berg scheint gespenstisch, wird angeschienen und leuchtet fahl. Auch die Sterne lassen sich Blicken, es kommt mir fast vor als könnte ich bis in unsere Nachbargalaxien sehen und hier und da leuchtet ein Stern heller auf. Ich stelle mir vor wie es ist, in dem ewigen Nichts, beinahe so wie um mich herum. Wenn dann da nichts ist bis auf die ewige Stille und diese riesigen Planeten, bestehend aus Gas- und Gesteingemisch. Und ganz am Ende ihrer langen Leben verglühen sie.
Es bleibt nichts mehr von ihnen übrig und sie sind ein großer Teil der Ewigkeit geworden.
Irgendwann, wie spät oder früh es ist kann ich nicht sagen, werde ich langsamer und halte schließlich an einer schützenden Baumgruppe inne. Einige Nadeln liegen auf dem Boden, geben einen halbwegs angenehmen Schlafplatz ab und ich bin auch vor dem kalten Wind geschützt. Es ist entsetzlich kalt, ich schiebe mir den Schal ganz übers Gesicht, ziehe die Beine an und vergrabe mich tief in meinem Mantel, kann die zusätzliche Jacke und warmen Sachen wirklich wertschätzen.
Er heult nur so über das Tal hinweg und dazu mischen sich, weit entfernt, auch Tierlaute. Kreischen, Fiepen, Flattern von Fledermäusen und tatsächlich auch Wölfe, die mit ihm um die Wette heulen. Nur dumpfe Geräusche, gedämpft durch den Stoff und mein Atem erwärmt mein Gesicht. Ich ignoriere den Drang frische Luft abzubekommen, vergrabe mich tiefer und reibe mir über die kalten Knie, bis mir schließlich etwas wärmer wird. Nicht warm, nein, aber es ist erträglich und ich kann alle meine Gliedmaßen spüren. Naja, bis auf die Zehen, die tun weh und auch das Bewegen fällt immer noch schwer. Ich habe das Gefühl, dass sie doch mehr abbekommen haben, als es für sie gut ist. Und dazu kommt die Tatsache, dass ich ein entsetzliches Verlangen nach Alkohol habe oder irgendetwas zum Rauchen. Noch an diesem Morgen war es gar nicht so sehr in meinem Kopf und auch in der vorigen Nacht nicht, da gab es andere Prioritäten: Schlaf und Essen und nicht zu Erfrieren.
Ja. Und jetzt, so eingemummelt in den Mantel und auch schon in den letzten Stunden ist das Bedürfnis nach Alkohol beinahe übermächtig geworden. Ich brauche etwas, mein Körper schreit danach, mein Kopf will es unbedingt. Das mein Körper das nicht braucht ist ja klar, aber dann braucht er es doch wieder und…. und ich komme nicht an Alkohol.
Somit ist es völlig sinnlos darüber nachzudenken und völlig sinnlos darauf zu hoffen oder so sehr diesem kleinen, winzigen Entzug zu erliegen. Immerhin kann man mich nicht als Alkoholikerin bezeichnen, so schlimm war ich dann doch nie… also, bis auf die letzten Monate. Und da gab es Gründe dazu, Gründe, die mich nun um den Schlaf bringen.
Und genau das ist noch einmal bestärkend, dass ich mir liebend gerne das Hirn wegschießen würde. Also, mit Alkohol oder Rauschmitteln, nicht mit einer Knarre. Wahrscheinlich würde ich die hier einfach herbekommen, als Spirituosen. Wie ich dieses Land doch liebe. Waffen und Sex mit Tieren, damit hat wirklich keiner ein Problem.
Und ich mag es lieber mich über diese Kontroverse und vor allem die Politik aufzuregen, als darüber nachzudenken, wieso ich so viel Alkohol getrunken habe und… aaaach, wieder beim gleichen Thema. Ich mag dieses Thema einfach nicht. Denn… denn… es ist traurig. Ja, es ist traurig. Es ist traurig, dass ich meinen Vater Jahre lang ignoriert habe, es ist traurig, dass mein Vater mir kein richtiger Vater war, dass er so sehr in seiner eigenen, kleinen Fantasiewelt gelebt hat und nicht einmal bemerkt hat, wie ich mich immer mehr von ihm distanziert habe, es ist traurig, dass ich erst drei Tage später von seinem Tod erfahren habe und dass, weil sich einer seiner Bekannten verwählt hat. All das ist traurig, es ist auch traurig, dass ich in meinem Leben nichts erreicht habe, es nicht einmal aus dieser Stadt rausgeschafft habe. Bis auf jetzt, falls man das denn so nennen kann.
All das ist traurig und doch schnürt mir viel mehr die Wut die Kehle zu und ich ziehe hart den Schal vom Gesicht, als ich das Gefühl habe jeden Moment zu ersticken. Hastig atme ich die kalte Luft ein, meine Nase fühlt sich augenblicklich an wie ein Eiszapfen und ich rapple mich hoch. Ich will nicht schlafen, denn dann denke ich ewig darüber nach und komme doch nicht dazu mich wirklich auszuruhen. Ich will das nicht, ich will einfach weiter laufen.
Weiter, weiter, weiter.
Meine Augen haben sich mittlerweile gut an die Dunkelheit gewöhnt und ich finde schnell zu der Straße zurück, spähe in die Dunkelheit und zum Berg, um meinen Weg fortzusetzen. Schritt um Schritt und doch schrecke ich hoch, als ein plötzliches Hupen und Licht die Stille zerreißt. Das ist mir zuvor gar nicht aufgefallen und der Truck hat mich immerhin entdeckt, bevor er mich einfach überfahren hat. Wüst schimpfe ich ihm hinterher, bin mir  ziemlich sicher, dass er das  gleiche tut und sehe ihm nach. Bald schon verschwindet er hinter einigen Hügeln und lässt mich wieder mit dem Nichts alleine.
Ein weiteres Licht kommt hinter mir über eine Hügelkuppe gefahren, mein Schatten vor mir wird länger und länger, während ich die Augen zusammen kneife und so versuche, das grelle Licht etwas zu dämpfen. Danach sehe ich nur noch weniger und muss langsamer machen, um mir nicht noch etwas zu brechen, bis sich meine Augen wieder umgewöhnt haben. Wieder Hupen, jeder in diesem Land muss Hupen, mitten im Nichts, wenn da wenigsten ein Stau wäre oder so etwas. Aber nein, da ist gar nichts dergleichen, nicht einmal ein Reh oder so etwas oder ein Stinktier, würde es die bei uns oben geben.
Bei einem Alligator würde ich auch Hupen, denn der wäre sicher aus dem Zoo ausgebrochen, aber ansonsten… .
Erneut ein Jeep, ist hier wohl das beste Fahrzeug und irgendwie kann ich das auch ein bisschen verstehen. Er klappert an mir vorbei, der Auspuff gibt ungesunde Geräusche von sich und nur ein Bremslicht funktioniert, das fällt mir aber auch nur auf, weil er bremst, kaum dass er an mir vorbei ist. Ich zögere, meine Schritte werden langsamer, vor allem als das Fahrzeug hält.
Gut, ich hatte Glück zuvor, aber auf irgendeinen Bauerntrottel oder Hinterwäldler habe ich keine Lust, der True Detective like dann mich umbringt und irgendeinem satanistischen Brauch folgend opfert. Das brauche ich wirklich nicht, ich will einfach nur zu meinem Berg.
Als ich nicht näher komme, sondern den Wagen nur mustere, leuchtet schließlich das weiße Rücklicht auf und dieser setzt zurück, bis er neben mir zum Stehen kommt. Das Beifahrerfenster wird herab gelassen und ich erkenne im Dunkeln des Wagens ein männliches Gesicht. Er hat dunkle Haut, seine Augen scheinen zu leuchten und auch die Zähne reflektieren das wenige Licht. Vielleicht ein Indianer, auch seine langen, dunklen Haare passen dazu, welche ihm in einem Zopf über die Schulter fallen.
„Ey man, soll ich dich ein Stück mitnehmen? Ich fahr bis zum nächsten Kaff“, fragt er und seine Stimme ist tief und melodiös. Ich blinzle, starre ihn an, blinzle wieder. Er hält mich für einen Kerl und das nur anhand meiner Kleidung, ha… haha. Er kann ja nicht einmal mein Gesicht wirklich erkennen, da der Schal es halb bedeckt.
Das ist irgendwie wirklich bitter. Aber es ist auch praktisch, denn wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein magerer Bursche von einem Indianer mit sexy Stimme vergewaltigt wird? Gut, schon groß, also, nicht unbedingt mit genau der Beschreibung der Anwesenden, aber es kann vorkommen. Nach wie vor starre ich ihn an, höre das leise Gedudel von Jazz und frage mich, wie viele Psychopathen wohl genau in diesem Moment diesen Sender hören. Viele, bestimmt.
Er seufzt schließlich, beugt sich wieder etwas weiter vor und ich realisiere, dass er das Fenster sogar kurbeln muss. Sein Gesicht ist nun besser zu erkennen, es wirkt zwar hart, die Nase ist etwas lang und scheint mehrfach gebrochen, die Augen sind dunkel und er hat volle Lippen, aber für mich sieht er nicht ein ein Psychopath aus. Außerdem kommt er mir seltsam bekannt vor, obwohl ich mir sicher bin, ihn noch nie in meinem Leben gesehen zu haben.
„Wenn das geht“, sage ich plötzlich, habe meine Stimme kaum erhoben und auch etwas tiefer gestellt, bin aber selbst überrascht, als ich mich plötzlich bewege und die Hand nach dem Türgriff ausstrecke. Er sieht überrascht auf, hat schon die Hälfte der Scheibe hochgekurbelt und scheint selbst zu zögern.
„Kein Rauchen im Auto und nur bis zum nächsten Dorf“, stellt er fest und ich nicke, ihm scheint noch etwas auf der Zunge zu brennen, aber er verkneift es sich. Vielleicht will er mich ja fragen ob ich ein mordender Psycho bin, das ist so wie der Moment, wenn man nachts hinter einer Person herläuft und durch Zufall den gleichen Weg hat, um dann festzustellen, nachdem sich der Vordere mehrfach umdreht, dass man wohl gerade für den Vergewaltiger gehalten wird. Einfach eigenartig solche Situationen. Aber es beruhigt mich, dass er genauso misstrauisch ist und mich auch dementsprechend mustert, als ich mich auf dem Sitz niederlasse.
„Es ist hier nachts ziemlich gefährlich“, meint er, fährt los und ich genieße die Wärme auf meiner Haut. Ein Nicken meinerseits und dann folgt Stille.
Lange fahren wir ohne etwas zu sagen, das Dorf oder eben die Kleinstadt, zu welcher er unterwegs ist, liegt genau in der Richtung, wohin auch ich möchte und ist weiter entfernt, als ich erst angenommen habe. Irgendwann fällt mir auf, dass wir uns nicht einmal vorgestellt haben, aber es macht mir auch nichts aus. Nach wie vor dudelt der Jazz seicht vor sich hin und ich scheine von Schild zu Schild zu leben, darauf achtend, wie der Abstand zu der Kleinstadt immer geringer wird.
„Soll ich dich am Hostel rauslassen?“, fragt er und ich sehe ihn kurz von der Seite an. Nach wie vor sieht er starr geradeaus, ist konzentriert und wirkt doch entspannter als da wo er mich eingesammelt hat. Er ist nicht unbedingt der wortgewandteste Mensch, gegen Jim nichts, aber strahlt eine Ruhe aus. Und er hat sogar noch einen leichten Akzent, ist vielleicht in einem Resort aufgewachsen, es gibt ein paar wenige hier. Eines von dem ich weiß, also, es erahnen oder mal davon gehört habe, vielleicht.
Er hat auf jeden Fall einen Akzent und als ich realisiere, dass ich mit der Antwort etwas lange auf mich warten lassen, erwidere ich hastig: „Nein, nein, aber danke.“
Ich habe gar kein Geld, wie sollte ich mir da ein Zimmer in irgendeiner billige Absteige am Arsch der Welt leisten können. Am Ende kostet das mehr, wegen dem schönen Blick, der Natur und dieser guten Landluft. Immerhin riecht es zu dieser Jahreszeit nicht nach Mist.
Und dann realisiere ich, dass sich seine Augenbrauen heben, diese dunklen Balken, die wohl jeden anderen Menschen entstellen würden. Sie schieben sich über seine Stirn weiter und weiter nach oben, die dunkle Haut wird faltig und er wirkt etwas erstaunt. Nur ein kleines Bisschen. Oh, das liegt wohl daran, dass ich meine Stimme gar nicht weiter verstellt habe und etwas mehr gesagt habe also zuvor. Außerdem sind keine störenden Außengeräusche zu hören.
Aber es folgt kein: Oh, du bist ja eine Frau. Nein, stattdessen reißt er plötzlich das Lenkrad herum, fährt auf die andere Fahrbahn und scheinbar um etwas herum. Ich drehe mich, sodass ich durch die Heckscheibe und im Licht der Bremslichter ein großes Tier erkennen kann. Ein Wolf oder wilder Hund. Ja und schon ist die Überraschung wieder aus seinem Gesicht verschwunden.
Also ist es ihm nicht aufgefallen, dafür mustert er mich kurz von der Seite, einmal hoch und runter.
Und dann wendet er sich wieder der Straße zu.

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