Etwas peinlich berührt und wirklich
bemüht nicht direkt auf diese Bauchmuskeln zu starren, versuche ich umständlich
und mit beiden Händen erhoben aufzustehen. Ob der mich überhaupt versteht?
Kaum dass ich etwas aufrecht bin,
die Beine immer noch leicht eingeknickt, nimmt er die Speerspitze weg, dreht
den Stab so flüssig und schnell in der Hand, dass mir schon vom Zusehen
schlecht wird und stößt mir dann das Ende des Schafts hart gegen die Brust.
„Uh“, macht es, als mir die Luft
aus der Lunge gepresst wird und mein ohnehin lädierter Oberkörper vor Schmerz
aufschreit… oder bin das ich? Ach nein, nein. Ich schreie nicht, ich taumle
nur, fange mich an einem Stamm ab und habe sofort wieder die Speerspitze unter
dem Kinn.
Wieder hebe ich die Hände, wedle
etwas damit, als wollte ich abheben und komme mir wirklich dämlich vor. „Ich
nix böse und so, wa“, sage ich und werde nach wie vor zu Tode gestarrt. Dieser
Blick, da kanns einem schon kalt den Rücken runter laufen oder heiß werden…
also, so beides zusammen und irgendwie ziehts auch etwas weiter unten. Aber es
tut nicht weh und dann dieser Oberkörper. Kein Wunder, dass wir Piraten als
Fett und Untrainiert gelten, sieht sich mal bitte jemand diese Muskeln an.
Ich werde wieder vor die Brust
geschlagen, bin erneut nicht sonderlich darauf vorbereitet und knalle gegen den
Stamm. Mein angepisstes Grummeln beeindruckt ihn nicht, mich hingegen
beeindruckt diese lange, harte Stange, die er da in Händen… denk an was
anderes.
„Uga, Uga, hu hu“, mache ich, wedle
wieder mit den Händen und erneut stößt er mich, was dieses Mal meine Brust
erwischt. Die Rechte und der Schmerz lässt mich auf japsen und treibt mir die
Tränen in die Augen. Die Dinger sind zwar klein und mit Stoff runter gebunden,
ja, ABER DAS TUT WEH. Kurz tut sich da auch tatsächlich etwas in seinem
Gesicht, diesem düsteren, harten, männlichen, dezent attraktiven… . Und dann
wird mir das Stabende voll auf die Stirn geschlagen, genau zwischen die Augen
und es gehen einfach die Lichter aus.
~
„Und wohin möchtest du?“, sie
klingt, als würde sie sich bereits wiederholen und ich blinzle verwirrt, sehe
mich um. Wo ist… . „Wa… was?“, frage ich und sehe mich in der kleinen,
gemütlichen Küche um. Draußen ist es bereits hell, noch früh am Morgen und doch
schafft es die Sonne nicht mehr durch die Wolkendecke. Als mein Blick an ihr
hängen bleibt, realisiere ich, dass sie irgendwie besorgt wirkt. Die Nacht
scheint einfach so vorbei gegangen zu sein. Wie viele Stunden… und dann fällt
mein Blick auf die Kücheuhr. Sieben Uhr, das heißt fünf bis sechs Stunden sind
einfach verschwunden, aus meinem Gedächtnis radiert. Nicht ganz. Es ist nicht
mehr nur dieser Nachgeschmack, wenn man verzweifelt versucht an einer
Erinnerung festzuhalten, sie zum Greifen zu bekommen und doch scheitert. Nein,
da sind Bilder. Orte, die ich nie gesehen habe, Wesen und Geschichten.
Ich blinzle, male mit den Zähnen
und realisiere, dass mein Kinn immer noch weh tut, was mich an den Aufprall
denken lässt, den ich selbst doch gar nicht erlebt habe. Humbug. Absoluter
Humbug, wie der alte Scrooge so gerne sagt. „Humbug“, flüstere ich, bewege mehr
die Lippen und doch hat sie es bemerkt, beugt sich etwas vor, um mich irgendwie
zu verstehen.
„Was?“, fragt sie und hat dabei die
Augenbrauen gehoben. „Ich… ich werde dann mal weiter gehen“, sage ich, stocke
erst und bin beinahe erleichtert, als ich es ausgesprochen habe. Ihre Miene
verdüstert sich etwas, da ist keine Wut, sondern viel mehr so etwas wie… als
wüsste sie, dass sie mich nicht davon abhalten kann und eben das stimmt sie
traurig. Nicht direkt, dass ich weiter gehe, sondern das was ich auf mich
nehmen werde. Schon bei diesen Schlussfolgerungen, Spekulationen, frage ich
mich, woher genau ich weiß, dass sie genau das denkt. Ich weiß es ja nicht, ich
nehme es nur an und bin mir doch völlig sicher.
„Willst du wenigstens den Sturm
vorbei ziehen lassen?“, versucht sie es doch noch einmal und sieht besorgt aus.
Ich schüttle den Kopf. Nach diesem Sturm wird der Nächste kommen und dann noch
einer und so wird es weiter gehen, bis dann der Schnee so hoch liegt, dass man
nur noch schwer die Tür aufbekommt. Wir sind hier weit oben im Norden, die
Winter sind hart, so wie die Leute auch. Langsam, beinahe schwerfällig komme
ich hoch, mein Körper zittert, vielleicht vor Erschöpfung, aber da ist auch
Nervosität.
Ich könnte hier bleiben. „Du
könntest hier bleiben“, sagt sie und ich sehe sie einfach nur an. Man braucht
hier „draußen immer Hilfe“, vervollständigt sie das was ich denke und lächelt
dabei so herzlich, so warm. Jedes Härchen auf meinem Körper scheint sich
aufgestellt zu haben. Draußen heult es, während wir bereits vor der gläsernen
Tür stehen und ich mich anziehe.
„Hier nimm das, mit deinen Schuhen
kommst du nicht weit und das“, drückt sie mir eine dicke Jacke und festes
Schuhwerk, sowie Wollsocken in die Hände. Sogar ein paar Handschuhe und eine
Mütze. Über die Jacke ziehe ich meinen Mantel und als die Tür aufgeht, sich aus
ihrem Griff befreit und vom Windstoß gegen die Wand geschlagen wird, der Schnee
mir ins Gesicht schlägt, wie tanzender, weißer Staub, glühend in den wenigen Strahlen
der Sonne, welche sich, wie die langen Finger Gottes den Weg durch die dunkle
Wolkenmasse bahnen, da weiß ich, dass ich hier nicht bleiben kann.
„Solange ich hier bin, bist du
willkommen“, ruft sie gegen den Wind, ich ziehe mir den Schal ins Gesicht und
nicke, erwidere ihr Lächeln und bin mir sicher, dass sie dies erkennen kann.
Sie lächelt zurück und dann tue ich den ersten Schritt.
Kalt und rau zerrt der Wind an mir,
fährt unter meine Kleidung und doch ist mir nicht ansatzweise so kalt wie am
Vortag. Noch einmal drehe ich mich um, nach einigen Metern, sehe zurück zum
Haus, zu ihr, wie sie dort in ihrem Eingang steht. Es wirkt wie ein riesiges
Fenster, der verschnörkelte Balkon an der Veranda verstärkt diesen Eindruck
noch.
„Es wird immer für dich offen
stehen“, ihr Rufen wird vom Wind weggeweht, ich kann nur erraten, was genau sie
sagt und doch kommen mir die Worte seltsam vor. So seltsam. Es erinnert mich an
etwas und während ich weiter gehe, mich gegen den Wind kämpfe, kreisen meine
Gedanken um diesen einen Satz.
Von Minute zu Minute scheint es
dunkler zu werden, auch wenn ich mir bewusst bin, dass Stunden vergangen sein
müssen. Die Kälte hat sich wieder tief in meine Knochen geschlichen, aber sie
ist erträglich, dieses Mal ist sie nicht tödlich. Ihr Tee hält mich warm und
doch habe ich nur noch Proviant bis zum Abend. Dass ich mein Mobiltelefon und
den Geldbeutel bei ihr vergessen habe bemerke ich erst spät, aber es schert
mich auch nicht. Es kommt mir so nebensächlich und beinahe lachhaft vor. Was will
ich damit auch? Brauche ich es hier? Nein.
Die Einöde erstreckt sich weit,
hier und da Bäume, Sträucher, die bereits leer sind und der Schnee bleibt auf
dem Boden liegen, je später es wird. Es knirscht und knackt und schließlich
stoße ich im Halbdunkeln der Dämmerung auf eine Straße, welche sich strickt
gerade aus zieht und zumindest eine Zeit lang in meine Richtung geht.
Die Dunkelheit übernimmt immer
mehr, die Schatten werden länger und länger, das Licht immer trüber und bald
kann ich keine zwei Meter mehr weit sehen. Die Straße selbst ist abgefahren und
alt, die Ränder kaputt und notdürftig einige Löcher mit Kies gefüllt. Auch der
Tee ist mittlerweile leer, was ich seufzend feststelle, als ich mich auf einem
größeren Stein am Straßenrand nieder gelassen habe und auch das letzte Bisschen
Essen aufgebraucht habe.
Die Thermoskanne nehme ich weiter
mit, falls ich etwas zu trinken finde und den Berg nur noch erahnen kann. Ich
hatte nicht gesehen, dass die Straße irgendwie abbiegen würde in nächster Zeit,
zumindest nicht soweit ich es in dieser Nacht schaffen würde. Beinahe kommt es
mir vor, als müsste ich das wieder einholen, was ich in der vorigen Nacht nicht
geschafft habe. Humbug.
Ich lache in den Schal, stapfe
weiter und als dann die Wolkendecke aufreißt erhellt der Mond den Weg. Der Berg
scheint gespenstisch, wird angeschienen und leuchtet fahl. Auch die Sterne
lassen sich Blicken, es kommt mir fast vor als könnte ich bis in unsere
Nachbargalaxien sehen und hier und da leuchtet ein Stern heller auf. Ich stelle
mir vor wie es ist, in dem ewigen Nichts, beinahe so wie um mich herum. Wenn
dann da nichts ist bis auf die ewige Stille und diese riesigen Planeten,
bestehend aus Gas- und Gesteingemisch. Und ganz am Ende ihrer langen Leben
verglühen sie.
Es bleibt nichts mehr von ihnen
übrig und sie sind ein großer Teil der Ewigkeit geworden.
Irgendwann, wie spät oder früh es
ist kann ich nicht sagen, werde ich langsamer und halte schließlich an einer
schützenden Baumgruppe inne. Einige Nadeln liegen auf dem Boden, geben einen
halbwegs angenehmen Schlafplatz ab und ich bin auch vor dem kalten Wind
geschützt. Es ist entsetzlich kalt, ich schiebe mir den Schal ganz übers
Gesicht, ziehe die Beine an und vergrabe mich tief in meinem Mantel, kann die
zusätzliche Jacke und warmen Sachen wirklich wertschätzen.
Er heult nur so über das Tal hinweg
und dazu mischen sich, weit entfernt, auch Tierlaute. Kreischen, Fiepen,
Flattern von Fledermäusen und tatsächlich auch Wölfe, die mit ihm um die Wette
heulen. Nur dumpfe Geräusche, gedämpft durch den Stoff und mein Atem erwärmt
mein Gesicht. Ich ignoriere den Drang frische Luft abzubekommen, vergrabe mich
tiefer und reibe mir über die kalten Knie, bis mir schließlich etwas wärmer
wird. Nicht warm, nein, aber es ist erträglich und ich kann alle meine
Gliedmaßen spüren. Naja, bis auf die Zehen, die tun weh und auch das Bewegen
fällt immer noch schwer. Ich habe das Gefühl, dass sie doch mehr abbekommen
haben, als es für sie gut ist. Und dazu kommt die Tatsache, dass ich ein
entsetzliches Verlangen nach Alkohol habe oder irgendetwas zum Rauchen. Noch an
diesem Morgen war es gar nicht so sehr in meinem Kopf und auch in der vorigen
Nacht nicht, da gab es andere Prioritäten: Schlaf und Essen und nicht zu
Erfrieren.
Ja. Und jetzt, so eingemummelt in
den Mantel und auch schon in den letzten Stunden ist das Bedürfnis nach Alkohol
beinahe übermächtig geworden. Ich brauche etwas, mein Körper schreit danach,
mein Kopf will es unbedingt. Das mein Körper das nicht braucht ist ja klar,
aber dann braucht er es doch wieder und…. und ich komme nicht an Alkohol.
Somit ist es völlig sinnlos darüber
nachzudenken und völlig sinnlos darauf zu hoffen oder so sehr diesem kleinen,
winzigen Entzug zu erliegen. Immerhin kann man mich nicht als Alkoholikerin
bezeichnen, so schlimm war ich dann doch nie… also, bis auf die letzten Monate.
Und da gab es Gründe dazu, Gründe, die mich nun um den Schlaf bringen.
Und genau das ist noch einmal
bestärkend, dass ich mir liebend gerne das Hirn wegschießen würde. Also, mit
Alkohol oder Rauschmitteln, nicht mit einer Knarre. Wahrscheinlich würde ich
die hier einfach herbekommen, als Spirituosen. Wie ich dieses Land doch liebe.
Waffen und Sex mit Tieren, damit hat wirklich keiner ein Problem.
Und ich mag es lieber mich über
diese Kontroverse und vor allem die Politik aufzuregen, als darüber
nachzudenken, wieso ich so viel Alkohol getrunken habe und… aaaach, wieder beim
gleichen Thema. Ich mag dieses Thema einfach nicht. Denn… denn… es ist traurig.
Ja, es ist traurig. Es ist traurig, dass ich meinen Vater Jahre lang ignoriert
habe, es ist traurig, dass mein Vater mir kein richtiger Vater war, dass er so
sehr in seiner eigenen, kleinen Fantasiewelt gelebt hat und nicht einmal
bemerkt hat, wie ich mich immer mehr von ihm distanziert habe, es ist traurig,
dass ich erst drei Tage später von seinem Tod erfahren habe und dass, weil sich
einer seiner Bekannten verwählt hat. All das ist traurig, es ist auch traurig,
dass ich in meinem Leben nichts erreicht habe, es nicht einmal aus dieser Stadt
rausgeschafft habe. Bis auf jetzt, falls man das denn so nennen kann.
All das ist traurig und doch
schnürt mir viel mehr die Wut die Kehle zu und ich ziehe hart den Schal vom
Gesicht, als ich das Gefühl habe jeden Moment zu ersticken. Hastig atme ich die
kalte Luft ein, meine Nase fühlt sich augenblicklich an wie ein Eiszapfen und
ich rapple mich hoch. Ich will nicht schlafen, denn dann denke ich ewig darüber
nach und komme doch nicht dazu mich wirklich auszuruhen. Ich will das nicht,
ich will einfach weiter laufen.
Weiter, weiter, weiter.
Meine Augen haben sich mittlerweile
gut an die Dunkelheit gewöhnt und ich finde schnell zu der Straße zurück, spähe
in die Dunkelheit und zum Berg, um meinen Weg fortzusetzen. Schritt um Schritt
und doch schrecke ich hoch, als ein plötzliches Hupen und Licht die Stille
zerreißt. Das ist mir zuvor gar nicht aufgefallen und der Truck hat mich
immerhin entdeckt, bevor er mich einfach überfahren hat. Wüst schimpfe ich ihm
hinterher, bin mir ziemlich sicher, dass
er das gleiche tut und sehe ihm nach.
Bald schon verschwindet er hinter einigen Hügeln und lässt mich wieder mit dem
Nichts alleine.
Ein weiteres Licht kommt hinter mir
über eine Hügelkuppe gefahren, mein Schatten vor mir wird länger und länger,
während ich die Augen zusammen kneife und so versuche, das grelle Licht etwas
zu dämpfen. Danach sehe ich nur noch weniger und muss langsamer machen, um mir
nicht noch etwas zu brechen, bis sich meine Augen wieder umgewöhnt haben.
Wieder Hupen, jeder in diesem Land muss Hupen, mitten im Nichts, wenn da
wenigsten ein Stau wäre oder so etwas. Aber nein, da ist gar nichts
dergleichen, nicht einmal ein Reh oder so etwas oder ein Stinktier, würde es
die bei uns oben geben.
Bei einem Alligator würde ich auch
Hupen, denn der wäre sicher aus dem Zoo ausgebrochen, aber ansonsten… .
Erneut ein Jeep, ist hier wohl das
beste Fahrzeug und irgendwie kann ich das auch ein bisschen verstehen. Er
klappert an mir vorbei, der Auspuff gibt ungesunde Geräusche von sich und nur
ein Bremslicht funktioniert, das fällt mir aber auch nur auf, weil er bremst,
kaum dass er an mir vorbei ist. Ich zögere, meine Schritte werden langsamer,
vor allem als das Fahrzeug hält.
Gut, ich hatte Glück zuvor, aber
auf irgendeinen Bauerntrottel oder Hinterwäldler habe ich keine Lust, der True
Detective like dann mich umbringt und irgendeinem satanistischen Brauch folgend
opfert. Das brauche ich wirklich nicht, ich will einfach nur zu meinem Berg.
Als ich nicht näher komme, sondern
den Wagen nur mustere, leuchtet schließlich das weiße Rücklicht auf und dieser
setzt zurück, bis er neben mir zum Stehen kommt. Das Beifahrerfenster wird
herab gelassen und ich erkenne im Dunkeln des Wagens ein männliches Gesicht. Er
hat dunkle Haut, seine Augen scheinen zu leuchten und auch die Zähne
reflektieren das wenige Licht. Vielleicht ein Indianer, auch seine langen,
dunklen Haare passen dazu, welche ihm in einem Zopf über die Schulter fallen.
„Ey man, soll ich dich ein Stück
mitnehmen? Ich fahr bis zum nächsten Kaff“, fragt er und seine Stimme ist tief
und melodiös. Ich blinzle, starre ihn an, blinzle wieder. Er hält mich für
einen Kerl und das nur anhand meiner Kleidung, ha… haha. Er kann ja nicht
einmal mein Gesicht wirklich erkennen, da der Schal es halb bedeckt.
Das ist irgendwie wirklich bitter.
Aber es ist auch praktisch, denn wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein
magerer Bursche von einem Indianer mit sexy Stimme vergewaltigt wird? Gut,
schon groß, also, nicht unbedingt mit genau der Beschreibung der Anwesenden,
aber es kann vorkommen. Nach wie vor starre ich ihn an, höre das leise Gedudel
von Jazz und frage mich, wie viele Psychopathen wohl genau in diesem Moment
diesen Sender hören. Viele, bestimmt.
Er seufzt schließlich, beugt sich
wieder etwas weiter vor und ich realisiere, dass er das Fenster sogar kurbeln
muss. Sein Gesicht ist nun besser zu erkennen, es wirkt zwar hart, die Nase ist
etwas lang und scheint mehrfach gebrochen, die Augen sind dunkel und er hat
volle Lippen, aber für mich sieht er nicht ein ein Psychopath aus. Außerdem
kommt er mir seltsam bekannt vor, obwohl ich mir sicher bin, ihn noch nie in
meinem Leben gesehen zu haben.
„Wenn das geht“, sage ich
plötzlich, habe meine Stimme kaum erhoben und auch etwas tiefer gestellt, bin
aber selbst überrascht, als ich mich plötzlich bewege und die Hand nach dem
Türgriff ausstrecke. Er sieht überrascht auf, hat schon die Hälfte der Scheibe
hochgekurbelt und scheint selbst zu zögern.
„Kein Rauchen im Auto und nur bis
zum nächsten Dorf“, stellt er fest und ich nicke, ihm scheint noch etwas auf
der Zunge zu brennen, aber er verkneift es sich. Vielleicht will er mich ja
fragen ob ich ein mordender Psycho bin, das ist so wie der Moment, wenn man
nachts hinter einer Person herläuft und durch Zufall den gleichen Weg hat, um dann
festzustellen, nachdem sich der Vordere mehrfach umdreht, dass man wohl gerade
für den Vergewaltiger gehalten wird. Einfach eigenartig solche Situationen.
Aber es beruhigt mich, dass er genauso misstrauisch ist und mich auch
dementsprechend mustert, als ich mich auf dem Sitz niederlasse.
„Es ist hier nachts ziemlich
gefährlich“, meint er, fährt los und ich genieße die Wärme auf meiner Haut. Ein
Nicken meinerseits und dann folgt Stille.
Lange fahren wir ohne etwas zu
sagen, das Dorf oder eben die Kleinstadt, zu welcher er unterwegs ist, liegt
genau in der Richtung, wohin auch ich möchte und ist weiter entfernt, als ich
erst angenommen habe. Irgendwann fällt mir auf, dass wir uns nicht einmal
vorgestellt haben, aber es macht mir auch nichts aus. Nach wie vor dudelt der
Jazz seicht vor sich hin und ich scheine von Schild zu Schild zu leben, darauf achtend,
wie der Abstand zu der Kleinstadt immer geringer wird.
„Soll ich dich am Hostel
rauslassen?“, fragt er und ich sehe ihn kurz von der Seite an. Nach wie vor
sieht er starr geradeaus, ist konzentriert und wirkt doch entspannter als da wo
er mich eingesammelt hat. Er ist nicht unbedingt der wortgewandteste Mensch,
gegen Jim nichts, aber strahlt eine Ruhe aus. Und er hat sogar noch einen
leichten Akzent, ist vielleicht in einem Resort aufgewachsen, es gibt ein paar
wenige hier. Eines von dem ich weiß, also, es erahnen oder mal davon gehört
habe, vielleicht.
Er hat auf jeden Fall einen Akzent
und als ich realisiere, dass ich mit der Antwort etwas lange auf mich warten
lassen, erwidere ich hastig: „Nein, nein, aber danke.“
Ich habe gar kein Geld, wie sollte
ich mir da ein Zimmer in irgendeiner billige Absteige am Arsch der Welt leisten
können. Am Ende kostet das mehr, wegen dem schönen Blick, der Natur und dieser
guten Landluft. Immerhin riecht es zu dieser Jahreszeit nicht nach Mist.
Und dann realisiere ich, dass sich
seine Augenbrauen heben, diese dunklen Balken, die wohl jeden anderen Menschen
entstellen würden. Sie schieben sich über seine Stirn weiter und weiter nach
oben, die dunkle Haut wird faltig und er wirkt etwas erstaunt. Nur ein kleines
Bisschen. Oh, das liegt wohl daran, dass ich meine Stimme gar nicht weiter
verstellt habe und etwas mehr gesagt habe also zuvor. Außerdem sind keine
störenden Außengeräusche zu hören.
Aber es folgt kein: Oh, du bist ja
eine Frau. Nein, stattdessen reißt er plötzlich das Lenkrad herum, fährt auf
die andere Fahrbahn und scheinbar um etwas herum. Ich drehe mich, sodass ich
durch die Heckscheibe und im Licht der Bremslichter ein großes Tier erkennen
kann. Ein Wolf oder wilder Hund. Ja und schon ist die Überraschung wieder aus
seinem Gesicht verschwunden.
Also ist es ihm nicht aufgefallen,
dafür mustert er mich kurz von der Seite, einmal hoch und runter.
Und dann wendet er sich wieder der
Straße zu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen